Musik hat widerspenstige Seiten. Darunter die, dass wir mit unserer normalen, aufs Konkrete zielenden, unserer Ding-Sprache sie niemals recht in den Griff bekommen können. Zumindest, wenn es sich um sogenannte „absolute“ Musik handelt, nicht also um Textvertonungen oder tönende Illustrationen bestimmter Programmabläufe. Dennoch – und das ist der Stachel im Widerspenstigen – piekst uns Hörer stets die Neugier, weshalb die Töne einer Sinfonie nun gerade so und nicht anders stehen und fortschreiten, anders gesagt, was sich der Komponist beim Verfassen des musikalischen Gedankens denn eigentlich gedacht hat.
Neugierig war auch Nadeschda von Meck, die Brieffreundin von Tschaikowsky und langjährige Mäzenatin. Neugierig, was die Klangbildungen seiner 4. Sinfonie zu bedeuten haben, schon gar, weil der Komponist von „unserer Sinfonie“ sprach. Tschaikowsky bemühte sich daraufhin, so etwas wie ein Programm seines neuen sinfonischen Werks in Worten darzulegen – ein Unternehmen, das ihm, kaum beendet, starke Zweifel hinsichtlich der Sinnhaftigkeit bescherte. Tschaikowskys Erläuterungen sind ein ebenso berühmtes wie seltenes Beispiel kompositorischer Selbsterklärung, allemal lesenswert, wenn man der besagten f-Moll-Sinfonie begegnet. Auch wenn sie – und da wäre man wieder beim Problem des „Übersetzens“, siehe oben – nicht oberlehrerhaft dem Buchstaben nach verstanden sein wollen.
Flammenbrunst am Ende des ersten Satzes
Schon gar nicht bindend sind solch programmatische Einlassungen für Interpreten im Konzert, da ist allein entscheidend, was in den Noten steht. Partituren wiederum haben ihre eigenen Spielräume. Domonkos Héja etwa nimmt das einleitende Andante sostenuto der Vierten mit seinem „Kern“-Gedanken der ganzen Sinfonie recht zügig, unterstreicht damit noch, dass es sich bei der schmetternden Horn/Fagott-Fanfare, Tschaikowsky zufolge das unerbittliche Schicksal vorstellend, um etwas Unerbittliches handelt. Umso kontrastreicher die folgenden Themen in ihrem elegischen, bestenfalls gedämpft-heiteren Zuschnitt, wohinein dann ja auch wieder die Schicksalsfanfare schneidet. Héja heizt mit den Augsburger Philharmonikern diesen Konflikt gegen Ende des ersten Satzes zur regelrechten Flammenbrunst an, im tönenden Resultat stellenweise haarscharf an der Grenze zum Tumult. Mitreißend ist das jedoch allemal, auch für Héja selbst, der ein bisher von ihm ungekanntes, in alle Richtungen sich dehnendes Bewegungsrepertoire auf seinem Dirigentenpodest entfaltet.
Verschnaufpause dann in den Binnensätzen, in den Holzbläserschönheiten des liedhaften Andantinos wie in dem in geradezu jazzhaft-rhythmischen Drive verfallenden Streicher-Dauerpizzicato des Scherzos. Im Finale – Tschaikowsky zog in seinen Erläuterungen die Assoziation eines Volksvergnügens heran – entfesselt Héja einen orchestralen Taumel, wohinein auch hier „das Schicksal“ grätscht vom Beginn der Sinfonie. Dass dies nicht das letzte Wort sein soll, das streicht Héja dadurch heraus, dass er die widerstrebenden Reflexe des sinfonischen Subjekts, die das Werk beschließen, ungemein druckvoll aus dem Orchester herausfahren lässt.
Solistin Olivia Steimel ganz im Dienst der Sache
Zuvor, in der ersten Hälfte des philharmonischen Sinfoniekonzerts im Kongress am Park, gab es Krzysztof Pendereckis Konzert für Akkordeon und Orchester. Kein Werk, über das sich der Komponist programmatisch geäußert hätte, musikschöpferischer wie rezeptionsästhetischer Normalfall also. Wobei das Stück insofern Besonderheit beanspruchen darf, als es ursprünglich als Doppelkonzert für Violine und Viola ausgearbeitet wurde. Den Kern dieser Musik scheint die solistische Variante – die Akkordeon-Fassung hat Penderecki selbst (mit)erarbeitet – somit nicht zu berühren. Das Konzert im typischen tonalen, tiefgründenden Penderecki-Spätstil besteht nur aus einem, wenngleich inwendig höchst wandelbaren Satz – gleich die Eröffnung präsentiert das Soloinstrument in einer langen kadenzierenden Erzählung, in der Solistin Olivia Steimel schon mal die Route für ihre Sicht auf den Akkordeonpart vorgibt: Nicht der vordergründig virtuosen Effekt gesucht, sondern zielstrebig der ernste Sinngehalt des Stückes ausgelotet.

Auch in der Interaktion mit dem Orchester versteht sich Steimel, in dieser Spielzeit Artist in Residence bei den Augsburger Philharmonikern, sympathischerweise als Erste unter Gleichen, und tatsächlich hat Pendereckis Konzert für eine ganze Reihe von Orchesterstimmen einiges an Solovortritt zu bieten. Unterm Strich ein Stück, das, wenn so konzentriert vorgetragen wie von Olivia Steimel und den von Domonkos Héja achtsam geführten Philharmonikern, als zeitgenössische Musik auf der Stelle zu überzeugen vermag – wer sagt schon, dass es dabei immer avantgardistisch zugehen muss? Die reich applaudierte Olivia Steimel bedankte sich am Montag mit Couperins „Le tic-toc-choc“ voller herrlich quirliger Akkordzerlegungen.
Apropos quirlig. Ob man sich vor der Erstbegegnung die gegen Ende des Zweiten Weltkriegs entstandene Ouvertüre einer in Warschau überlebenden polnischen Komponistin im klanglichen Auftritt so vorstellen würde wie die Ouvertüre von Grazyna Bacewicz (1909-1969)? Ein furios zupackendes, geradezu in die Beine fahrendes Orchesterbravourstück, das nur im Mittelteil einen Gang zurückschaltet. Nein, dieser Hintergrund ist bei dieser Musik nicht automatisch zu erwarten. Von Zeit zu Zeit hat es eben etwas Bereicherndes, wenn auch bei absoluter Musik – Bacewicz hat die Ouvertüre unabhängig von einem Bühnenspiel komponiert – etwas Licht zumindest auf die Begleitumstände der Entstehung fällt.
Das Radioprogramm Deutschlandfunk Kultur sendet am 6. März einen Mitschnitt des Konzerts (20 Uhr).
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