Manch große Idee verläuft im Sande, während manch kleine zu etwas Großem wird. Als André Bücker, Intendant des Staatstheaters Augsburg, einfiel, dass man vielleicht „mal was mit lokalen Bands machen könnte“, hatte er auch direkt die richtige Person im Kopf, die mit dieser Idee etwas anfangen könnte. Um nicht zu sagen, die diese Idee zu etwas Großem machen könnte: Girisha Fernando, der schon als Kurator des Water & Sound-Festivals Welten verbindet, wenn klassische Orchestermusiker auf beispielsweise malischen Afro-Funk oder kapverdischen Global Pop treffen.
Die Reihe „Brechtbühne un/plugged“ hat Strahlkraft über Augsburg hinaus
Fernando wollte jedoch „den Apparat des Staatstheaters nicht nur als Bühne für die Popkulturszene der Stadt nutzen, sondern auch die Philharmoniker – als Möglichkeit für lokale Bands, mit Streichern und Bläsern auftreten zu können.“ Die Subkultur sei eben immer noch die kleinste Profiteurin des immensen Kulturbudgets, und das gelte nicht nur für diese Stadt, „sondern ist ein deutschlandweites Phänomen.“ Welche Strahlkraft das aus den Überlegungen Bückers und Fenandos entstandene Format, „Brechtbühne un/plugged“ hat, beweisen Anfragen aus der ganzen Republik, die immer wieder bei Fernando einflattern: „Das ist ja toll, was ihr da habt – gibt’s das auch in München oder Berlin?“ Nein, das gibt es in dieser Form tatsächlich nur in Augsburg. Fernando freut sich dementsprechend, „wie gut es vom Publikum angenommen wird. Wir haben ein sehr gemischtes Publikum, das sich nicht nur aus der Zugkraft etablierter Bands wie John Garner oder Carpet zusammensetzt“.
Auch wenn Acts, die teilweise erst wenige Monate auf der Bildfläche erschienen sind, im Programm angekündigt werden, sind höchstens noch vereinzelt freie Plätze zu sehen. So wie bei Roshko, die in diesem Rahmen das allererste Mal ihre Songs der Öffentlichkeit präsentiert hat. „Es war ein sehr bedeutsamer Moment für mich als Musikerin und Person. Es war, wie das erste Mal den Mund aufzumachen und ich war überwältigt, welche Fülle und welchen Körper meine Stücke dank des Orchesters bekommen haben“, erzählt sie ein Jahr später, nachdem sie mit Menschen, die sie im Zuge dieses Auftritts kennengelernt hat, ihre ersten beiden Singles aufgenommen hat.
Girisha Fernando: Die Musikerinnen und Musiker entdecken neue musikalische Seiten
Überhaupt sind die Verbindungen und Freundschaften, die zwischen der klassischen und popkulturellen Szene entstehen, eine der bedeutendsten Nebenwirkungen dieser bis dato neun Ausgaben der Konzertreihe. „Die Musikerinnen und Musiker entdecken musikalische Seiten an sich, die sie vorher nicht kannten“, erzählt Fernando, „und plötzlich gibt es auch außerhalb dieses Formats Kollaborationen“. Bei der Langen Brechtnacht im Februar fanden sich neben lokalen Jazzern auch Philharmonikerinnen bei der alles abreißenden Show des schwedischen Experimentalsaxophonisten Mats Gustafsson auf der Bühne wieder.
„Bei der Probe habe ich das erste Mal in meinem Leben improvisiert“, erinnert sich die erste Geigerin der Philharmoniker, Aleksandra Manic, „das fühlte sich so befreiend an. In Augsburg gibt es wahnsinnig viel gute Musiker in der Szene, im Jazz wie im Pop, ich habe viel zugehört und viel gelernt. Vielmehr: wir lernen voneinander, wir vermischen uns“. So etwas, weiß die erfahrene Violinisten, gebe es in dieser Form bei anderen Orchestern nicht.
Immer mehr junge Menschen kommen zu den Konzerten der Augsburger Philharmoniker
Dazu gehöre auch, aus der Komfortzone auszubrechen; gerade die Tatsache, dass sie die Noten der exklusiv für diesen Anlass geschriebenen Arrangements erst in der ersten Probe vorgelegt bekommen, bereite einer klassisch ausgebildeten, mit Noten sozialisierten Musikerin erst einmal ein wenig Kopfschmerzen. Doch es sind genau diese neuen Perspektiven, von denen unterm Strich alle profitieren: Beteiligte wie Zuschauende. Manic fiel etwa auf, dass „in letzter Zeit immer mehr junge Menschen zu den Konzerten der Philharmoniker kommen“. Ob das im direkten Zusammenhang mit der un/plugged-Reihe stehe, ist natürlich nicht ausgemacht, möglich wäre es aber allemal.
André Bücker bereitete den Humus, Girisha Fernando setzten die Saat, Musikerinnen und Musiker aller Altersklassen und Hintergründe düngten den immer stärker werdenden Baum, von dem das Publikum zweimal im Jahr die Früchte ernten darf. Und die Szene das ganze Jahr hindurch. Bei der nächsten Ernte am kommenden Samstag präsentiert die Augsburger Songwriterin Ala Cya ihr neues Album und mit On The Offshore ist endlich auch mal die Band des Kurators Fernando zu hören. Zur zehnten Ausgabe darf man sich gerne auch mal selbst beschenken.
Das nächste Konzert der Reihe „Brechtbühne un/plugged“ findet am 5. April, 20 Uhr am Gaswerk statt.
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