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Gastspiel: Aufrüttelndes beim Brechtfestival: „Leben, ich liebe Dich!“

Gastspiel

Aufrüttelndes beim Brechtfestival: „Leben, ich liebe Dich!“

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    Das Gastspiel „Leben, ich liebe Dich!“  vom Instanbuler Moda-Saneshi-Theater mit Gülseven Medar und Ali Tekbas  im Martinipark.
    Das Gastspiel „Leben, ich liebe Dich!“ vom Instanbuler Moda-Saneshi-Theater mit Gülseven Medar und Ali Tekbas im Martinipark. Foto: Mercan Fröhlich

    Die Bühne ist in sanftes Licht getaucht. Die an Metalldrähten gefangenen, bunten Papiervögel lassen das Drama nur für den, der genau hinschaut, erahnen. Der Martini-Park ist zu diesem Gastspiel des Moda-Sahnesi-Theaters aus Istanbul ausverkauft. Rund 600 Zuschauerinnen und Zuschauer, zumeist aus dem liberal-bürgerlichen türkisch-kurdischen Spektrum in Augsburg, feiern den Einakter „Leben, ich liebe dich“ (Hayat seni çok seviyorum). Auf der Bühne schon die Eingangsszene: Ein Mann (Ali Tekbas) mit Block und Stift an einen Schemel gelehnt, eine Frau (Gülseven Medar) schreitet erst langsam, dann ungeduldig hin und her, die Vogel-Mobiles an den Drähten bringen Struktur in die Bühnenhöhe. Im Hintergrund ein Bett, dahinter eine Leinwand.

    Tatsächlich wartet man auf die Ankunft des Exiljournalisten Can Dündar, der aus Berlin zu dieser Vorstellung im Rahmen des Brechtfestivals anreist. Als er sich unter Applaus schließlich in die vierte Reihe setzt, gerät die Bühne für einen Moment aus dem Blick. Nach der Vorstellung wird der frühere Chefredakteur der traditionsreichen türkischen Tageszeitung Cumhuriyet zusammen mit Shermin Langhoff auf dem Podium über Brecht, Kunst und willkürliche Staatsgewalt reden. Dündar weiß, wovon er spricht. Er saß drei Monate in türkischer Haft, bevor er nach Deutschland kam. 2020 wurde er in Abwesenheit zu 27 Jahren Haft verurteilt. 

    Ilhan Sami Çomak formt ein Gedicht zum Drama

    „Leben, ich liebe dich“ ist ein Einakter, den der Schriftsteller Ilhan Sami Çomak aus einem früheren autobiografischen Gedichtband extrahiert und zum Drama umgeschrieben hat. Çomak sitzt im selben Gefängnis der Türkei ein, in dem auch Can Dündar war: Silivri. Etwa 30 Kilometer vor Istanbul gelegen, ist es das größte Gefängnis der Türkei, ein Ort, in dem ein Wärter auf die Frage eines Häftlings nach einem Buch sagt, das Buch habe man leider nicht in der Bibliothek, aber der Autor sei hier. 

    Çomak nimmt die Zuschauer mit auf eine Reise in seine Kindheit. In seinem osttürkischen Dorf bei Bingöl, in dem er aufwuchs, wurde Kurdisch gesprochen. Zaza sagen sie dort. Am Tag, als sein Onkel Haydar zum türkischen Militär ging, wurde er geboren, sagte man ihm. Er sah Regenbogen, die Quellen, die Berge und den Winter. Wenn meterhoch Schnee lag, spielten sie draußen, bis die Hände abfroren und langsam am Ofen aufgetaut werden mussten. Mit sieben Jahren geht es in die Stadt Bingöl, in die „Sprachlosigkeit“. Denn auf der Schule ist Kurdisch verboten, Türkisch die einzige Sprache. Er lernt: Seine eigenen Worte zählen nicht.

    Weil er nicht wie die Sunniten fastet, wird er verprügelt

    Die Darsteller werfen sich die Sätze auf Kurdisch und Türkisch zu. Mit steigender Aggressivität deuten sich die späteren Dramen an. Er ist Alevit, wird verprügelt, weil er nicht wie die Sunniten fastet. Doch auch die Zurückgezogenheit der alevitischen Familien im Dorf, zu denen er gehört, bleiben ihm ein Rätsel. Erst zum Studium in Istanbul erlebt er, was Freiheit ist. Er liebt den Bosporus, die Luft, den Himmel, die Tauben. Bis eines Tages im August 1994 die Polizei vor seiner Tür steht. 

    „Leben, ich liebe dich“ ist eine temporeiche, sich langsam aufbauende Inszenierung des Istanbuler Regisseurs Kemal Aydogan. Die Bühne kommt mit wenigen, dafür atmosphärisch brechenden Requisiten aus. Fröhliche, aber festgebundene Vögel und das Spiel mit dem Licht kontrastieren die mal unbeschwerten, mal voller Melancholie, immer aber eindringlich klar gesungenen kurdischen Lieder der beiden Schauspieler, die beide auch professionelle Musiker sind. Die direkte Ansprache des Publikums und die Bruchlosigkeit, mit der Sprache in Tanz und Gesang übergeht, erinnern an Brechts experimentelle Epik. Die massive Folter, die der Autor knapp überlebte, wird bei gelöschtem Licht gespielt, im Dunkel. Von Schlägen und hinterrücks gefesselten, an der Decke aufgehängten Armen erzählen sie, von der Angst vor dem totalen Kontrollverlust. 

    Eine Botschaft aus dem Gefängnis nach Augsburg

    Eine Tragödie, die trotz ihrer inhaltlich hochemotionalen Inszenierung auf dem Boden bleibt. Behutsam setzen Autor und Regisseur auf eine ausgewogene Mischung aus bedrückendem Real-Drama und leichtfüßiger Epik. Ilham Sami Çomak sitzt bis heute in Silivri ein. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gab seiner Klage 2007 recht. Doch als sein Verfahren in Istanbul wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung daraufhin neu aufgerollt wurde, bekam er wiederum lebenslänglich. Für den in der Türkei mehrfach mit Lyrik- und Autorenpreisen ausgezeichneten Autor sei die Aufführung auf dem Augsburger Brechtfestival ein Fenster nach draußen, lässt er durch die Schauspieler nach dem Schlussapplaus übermitteln. Ein Zeichen, dass er auch nach 30 Jahren nicht vergessen ist. 

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