Auf dem Tourneelastwagen vor der Stadthalle Gersthofen steht es in großen, geschwungenen Lettern geschrieben: „Tachtig“. Achtzig. So alt ist der niederländische Liedersänger Herman van Veen, der dort auftreten wird, und so heißt sein neues Programm. Zwei Stunden lang wird der Liedersänger mit Band die gut gefüllte Halle unterhalten, und am Ende werden die Zuschauer geschlossen aufstehen und lange applaudieren.
Herman van Veen ist Geschichtenerzähler, Musikpoet und Clown
Herman van Veen zu fassen, fällt schwer. Wer ist er, Musikpoet, Geschichtenerzähler, Chansonnier, Clown? Ein vielgestaltiger Künstler jedenfalls, der Mensch geblieben ist in einer Welt, die sich immer verrückter zu drehen scheint. Sein stilles „Ich hab‘ ein zärtliches Gefühl“, das er allen Liebenden, Träumenden, Mutigen und Freien widmete, rührt heute noch an. Er singt es leise wie 1973 auf seiner ersten deutschsprachigen Schallplatte, in Gersthofen zudem in der niederländischen Übersetzung.
Van Veens Bühnenprogramm ist nach einer sorgsam arrangierten Dramaturgie gebaut. Obwohl es so wirkt, geschieht nichts zufällig. Punktgenau schweben vier Tänzerinnen ein, die Musiker der Band wissen exakt, wann sie wo zu stehen haben, die Übergänge zwischen den Stücken – perfekt.
Van Veen tänzelt zum feurigen Geigensolo
Zur Violine greift van Veen selten, diesen Teil übernimmt ausgezeichnet Jannemien Cnossen. Als er es doch tut, pustet er zuerst den dick angesetzten Staub von seinem Instrument. Bald bricht ein feuriges Geigensolo aus ihm heraus, dann scheint er federleicht übers Parkett zu tänzeln. Die Bewegungen sind weich, die Stimme warm, bisweilen opernhaft hoch. Kaum zu glauben, dass dieser Mann vor zwei Monaten 80 Jahre geworden ist. Auf sein Alter kommt van Veen oft und lustvoll ironisch zu sprechen, um nicht ganz ohne Stolz zeigen zu können, was er noch draufhat.
Natürlich hat ein Herman van Veen hervorragende Musiker in seiner Band. Mit dem versierten Bassisten Kees Dijkstra liefert sich van Veen wilde Duelle. Die Sängerin/Gitarristin Edith Leerkes bringt südländisches Flair und mittelalterliche Facetten ein. Elektronische Beats, das Kinderlied, französisches Chanson, die Pantomime – alles findet seinen Platz. Der Auftritt lebt von Gegensätzen. Im raschen Wechsel bricht van Veen Ernsthaftes mit Albernem und Skurrilem wie diesem famos gespielten Alptraum in einer asiatischen Fantasiesprache.
Was van Veen reitet, als er im leicht geöffneten Hemd schwungvoll zu einem Popstampfer von Taylor Swift abzappelt? Es bleibt sein augenzwinkerndes Geheimnis. Nach manch verziehenem Flachwitz kriegt van Veen die Kurve und findet zuverlässig zurück zu der ihm eigenen Seriosität.
Herman van Veen: Ich bin von nach dem Krieg und ich hoffe, dass das so bleibt.“
Das Thema seines „Wiegenlied“, in dem er Namenlosen Namen gibt, bleibt aktuell. Unmissverständlich stellt van Veen fest: „Ich bin von nach dem Krieg, und ich hoffe, dass das so bleibt“. Wunderbar gelingt die Interpretation des Kästner-Gedichts „Sachliche Romanze“ über das ältere Paar, dem schleichend die Liebe abhandengekommen ist. „Sie gingen ins kleinste Café am Ort und rührten in ihren Tassen. Am Abend saßen sie immer noch dort. Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort und konnten es einfach nicht fassen.“ Wirklich stark ist Herman van Veen in diesen leisen Augenblicken, den rätselhaften, die das Publikum hineinziehen ein seine eigene, versponnene, fast magische Welt. Viel zu schnell ist die Zeit mit dem Grandseigneur vorbei.
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