Über 15 Jahre Bestand und drei Alben hinweg erhärtete sich bei der Band Jilman Zilman, deren Ende nach der aktuellen Tournee ausgemacht ist, folgende These: Bandleader Tilman Herpichböhm hält wenig von Konventionen. Empirische Evidenz zur Überprüfung der These wurde anlässlich des Tourauftakts in den Räumlichkeiten des Jazzclubs Augsburg durchgeführt, anwesend waren neben den Mitgliedern der Band Jilman Zilman zahlreiche jazzwissenschaftlich versierte Augen- und Ohrenzeugen. Der Wahrheitsinhalt der These sollte am Freitagabend anhand fünf verschiedener Kategorien nachgewiesen werden.
Kategorie 1: die Bandbesetzung
Zwei Altsaxofone spielen in kurzer Zeit sehr viele Töne, in orientalischen Skalen oder scheinbar spontan im Moment erfundener Tonalität. Mal unisono, mal eine Hundertstelsekunde verschoben, manchmal in Parallelsolis, die sich gegenseitig anstacheln, sich jagen, stolpern, übereinander fallen, nur um sich anschließend in den Armen zu liegen und gemeinsam totzulachen. Dazu wagt es Herpichböhm, seiner Band, die zwei Alben ohne Harmonieinstrumente aufgenommen hat, mit Simon Nabatov einen Pianisten einzuverleiben, dem es mit seinem aufsehenerregenden Spiel gelingt, den Charakter der Band noch prominenter hervorzuheben. Nabatov hat keine Berührungsängste mit Dissonanzen und erzeugt dazu auf einem Tablet Verrücktheiten aller Art, wie zum Beispiel einen Klang, als hätte man eine Panflöte mit einem heiseren Zeisig gekreuzt.
Kategorie 2: Songtitel
Herpichböhm behandelt Dinge, die jeder kennt und niemand sieht und gerne eine zweite Bedeutung in sich tragen („Faltenbalg“, im Gelenkbus oder eben ein Neugeborenes). Auch Getränke („Milchkritik“, „Erdbeerlimes für Jaqueline“) oder völlig unterschätzte Wildesel („Onager Stomp“) sind Quell der Inspiration. Über Liebe sollen die anderen schreiben.
Kategorie 3: Komposition und Spiel
Das Schlagzeug ist minimalistisch, wird dafür mit sämtlichen Arten von Sticks, Besen und Klöppeln verhauen, die die Welt der Perkussion zu bieten hat. Die Arrangements sind durchzogen von überraschenden Wendungen, Einschüben und B- bis F-Teilen, die eine ähnliche Herangehensweise haben wie britischer Humor: Es läuft nie auf eine Pointe hinaus, vielmehr ist es eine Welle mit Nonchalance vorgetragener Absurditäten, die als Ballade ebenso funktionieren wie als Vollgasnummern mit Punk-Attitüde. Im Programm des Jazzclubs als „Free Bop“ angekündigt, ist die Musik zwar frei, aber mit Plan, sie ist straight-ahead, aber mit offenen Schnürsenkeln und voller Groove, zu dem man gerne tanzen möchte, nur dass man nicht weiß, wie. Mit Peter Christof am Kontrabass formt Herpichböhm eine beinharte Rhythmussektion. Um es ausnahmsweise mal ganz konventionell zu auszudrücken.
Kategorie 4: Performance
Herpichböhm tanzt in seiner nicht zu bändigende Spielfreude sitzend die Quintessenz einer jeden Nummer mit und übt sich in einer Mimik, als wolle er in dem Moment die Grimassen Helge Schneiders unter der Dusche nachstellen, in dem das Wasser überraschend eiskalt wird, weil der Boiler abgeschmiert ist. Geschwitzt wird aus Prinzip ab der zweiten Nummer und die Band ist eingespielt, als wäre sie schon seit Monaten unterwegs.
Kategorie 5: Einflüsse
Die Initialen der Band Jilman Zilman stehen für John Zorn. Herpichböhm zeigt ähnliche Radikalität sowie Unberechenbarkeit, nur eben in lustig. Dafür sorgt der monumentale Schalk im Nacken des Schlagzeugers.
Resümee: Der Leitsatz „Tilman Herpichböhm hält wenig von Konventionen.“ sei hiermit nach bestem Wissen und Gewissen nachgewiesen. Quod erat demonstrandum.
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