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Knut Schaflinger schreibt über die „Unvergänglichkeit des Augenblicks“

Lyrik

Ein Fotoalbum aus Gedichten: So liest sich der neue Lyrikband von Knut Schaflinger

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    Knut Schaflinger hat wieder einen neuen Lyrik-Band vorgelegt.
    Knut Schaflinger hat wieder einen neuen Lyrik-Band vorgelegt. Foto: Augsburger Allgemeine

    Wenn andere sich an ihre Musik-Grundausbildung mit der Blockflöte erinnern, klingt das nach Schweiß, Prusten, Ohrenschmerz. Bei Knut Schaflinger liest sich der Kindheitsmoment so: „Wenn mein Lehrer mir etwas vormachte tanzte sein Instrument lustig vor seinem Gesicht mir schien er biss das Mundstück fest beschrieb Kreise und Ellipsen mit seinem Stück Holz und manchmal kam ein Tropfen aus dem untersten Loch.“

    Wem gehört so eine Erinnerung? Behält man sie für sich, bleibt sie geheimes Privateigentum. Teilt man sie mit der Welt, entsteht im schönsten Fall eine Poesie, die Menschen verbindet, weil sie dasselbe erlebt haben – weil die Erfahrung eine allgemein menschliche ist. Erinnerungen hat Knut Schaflinger gesammelt im Leben. Er war Journalist, Filmemacher, Redakteur bei den Tagesthemen und ist heute vor allem: Lyriker. 74 Jahre, wohnhaft in Augsburg. Die lyrischen Texte in seinem neuen Band, entstanden zwischen Dezember 2023 und November 2024 – und reichen in der Zeit viel weiter zurück. Der Österreicher blättert sich im Gedächtnis durch ein lyrisches Fotoalbum von Momenten. Er schreibt über das „Unvergängliche des Augenblicks“.

    Knut Schaflinger Baut seine Lyrik aus der Erinnerung des Moments

    Die Architektur seiner Lyrik ist quadratisch. Auf jeder Buchseite legt Schaflinger seinen Lesern einen Textblock vor, in der immerselben Länge. Exakt 16 Zeilen Umfang hat jedes Gedicht auf den gut 100 Seiten. Schaflingers Lyrik ist Fließtextbau ohne Reim und Absätze, fast im Stil einer Elfriede Jelinek. Nur nimmt sich Schaflinges Ton nicht so angriffslustig politisch aus. Jedes seiner neuen Gedichte ist ein Textquader, wie im Format eines Dia-Fotos. Ein Polaroidbild, das Schaflinger mit einer Sprache der Erinnerung ausmalt. Schnappschüsse des Lebens.

    Die Kindheit beginnt in der Weltgeschichte: „Jemand deutete mit seinem Arm in den Himmel“, denn da schwirrt etwas hoch oben im Orbit. Der Vater im Text sagt zum Kind: „Komm du mein kleiner Astronaut und ich erwiderte nein Kosmonaut will ich sein und wartete auf Sputnik.“ Deutschland, 1957, der erste Satellit der Sowjets kreist durch die Sternennacht. Auf der anderen Mauerseite der Wohnzimmerschrankwand, dort wo der Fernseher der Nachbarn läuft, knallt es bald in den Fernsehnachrichten. „Schüsse. Schreie. Explosionen. Vater zuckt zusammen sagt das käme aus Vietnam. Weit weg. Er zittert bebt lacht damit er sich nicht erinnern muss.“ Dann rauscht durchs Radio die Nachricht zweier Morde. JFK stirbt in Dallas, Texas, und MLK in Memphis, Tennessee.

    Winnetou reitet durchs Bild in „Das Unvergängliche des Augenblicks“

    Klingt düster? Bleibt es nicht. In leichten Momenten reitet Winnetou durchs Bild. Der junge Erzähler schleicht fürs Abenteuer in einen Kohlebergwerksstollen. Er fackelt aus Versehen die Gartenhütte der Familie ab und beschreibt, wie Spucke aus der Blockflöte seines Lehrers suppt. Unebene Haut plagt ihn, „Phlegräische Felder“ im Gesicht, Idylle findet er aber beim Klettern im Obstbaum. „Die Zungen so rot von den Kirschen. Wir in den Bäumen holen abends die Sonnenuntergänge vom Himmel wissend wir dürfen vorm Einschlafen nichts mehr trinken.“ Vogelnestperspektive: „In der Krone die Astgabel bietet Platz für zwei. Kaum Aussicht durch die Blätter. Aber wir essen uns ein Fenster ins Gezweig.“

    Ist das historischer Kulissenbau? Sentimentale Malerei? Ja vielleicht, aber dieses Bühnenbild täuscht und wackelt, und das macht das Lesen der Gedichte reizvoll. Unzuverlässige Szenen, im Traum verschwommen. Seine Leser stupst Schaflinger charmant mit einem „wir“ in eine gemeinsame Erinnerung – und lässt sie dann auch in der Sprache stolpern. Denn er kennt in seiner Lyrik keine Satzzeichen. Kein Komma, das zwischen Haupt- und Nebensatz moderiert und sortiert. Nur fließende Worte und dann und wann ein Punkt. Wie muss ich den Satz lesen?

    Kurt Schaflinger liest bei der Langen Kunstnacht in Augsburg

    Die Katze und ihre frisch geborenen Kätzchen im Stroh. Die Großmutter, die ihrem Enkel die Wärmflasche wärmt. So wie Schaflinger seine Gedichte in locker, aber fein verbundener Folge aneinander fädelt, bilden sie fast einen Heimatfilm – aber keinen konservativen. In den wilderen Gedichten wuchern Sprachbilder, der Leser rätselt sich durch einen poetischen Reizwortnebel, ohne einen Halt von Handlung. Bis das nächste Blockgedicht wieder zu erzählen beginnt. Bis das Gedicht wieder heimfindet in die Erinnerung.

    Der Honig, die Milch, das Kissen, Motive kehren immer wieder. Das vernetzt diese Traumprotokolle in ihrem Halbschlaf-Ton. Denn was unterscheidet schon einen Traum von einer Erinnerung? Sie sind Teil einer Wirklichkeit. Der Dichter schreibt auf der letzten Buchseite: „Ich danke allen, die mir geholfen haben, auch in meinem Gedächtnis die Wahrheit zu suchen.“

    Info: In der Langen Kunstnacht in Augsburg, am heutigen Samstag, 28. Juni, liest Knut Schaflinger gleich zweimal aus „Die Unvergänglichkeit des Augenblicks“. Im Schaezlerpalais trägt er jeweils um 21.30 Uhr und um 23 Uhr Gedichte vor. Dabei begleitet ihn die Cellistin Ruth Rossel musikalisch. Eine weitere Lesung mit Schaflinger findet dann am 11. Juli, 19.30 Uhr, statt. Er liest bei der Langen Nacht der Poesie im Brunnenhof.

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