Die Zeit gebiert immer neue Gegenwart und die Kunst immer neue Kunst – und Kunstbetrachtung. Mag das Rad auch nicht ein zweites Mal erfunden werden, so bleibt doch faszinierend, wie sich der Künstlernachwuchs die Geschichte erobert und sie weiterentwickelt, gegebenenfalls überwindet durch das Erschaffen neuer Welten. Reiches Anschauungsmaterial dazu bietet eine Ausstellung im Kunstraum am Pfarrhof von Leitershofen, wo erstmals die jüngste Generation professionell ausgebildeter Kunstschaffender Einzug hält: fortgeschrittene Studenten und Absolventen der Münchner Kunstakademie, 17 an der Zahl.
Gemeinsames Thema (sowie Material) ist das Papier und auch – neben zusätzlichen kleineren Arbeiten – das obligate Format von 125 mal 100 Zentimeter. Was – nicht unwesentlich – dem Kollektiv „Malso13“ aber noch eigen ist, dies ist eine gleichsam reduzierte Selbstdarstellung, besonders jetzt in Leitershofen. Zunächst einmal verzichtet die „Maler:innengruppe“, wie sie sich nennt, auf biografische Hinweise zu ihren Mitgliedern sowie im provokanten, dadaistisch formulierten Katalog auf Erläuterungen und Einordnungen, etwa zu Kunst-Intentionen.
Etliche Mitglieder von „Malso13“ sind Schüler von Markus Oehlen und Gregor Hildebrandt
Der Hintergrund ist klar, auch verständlich: Die Werke sollen aus sich heraus sprechen, diese selbst müssen überzeugen, nicht die Biografie der jeweiligen Künstler. Jegliche Hierarchie, Elitenbildung soll vermieden werden. So viel aber wird zumindest mündlich vermittelt: Etliche Mitglieder von „Malso13“ sind Schüler der Professoren Markus Oehlen und Gregor Hildebrandt. Wie gesagt, die Zurückhaltung ist verständlich. Ob das Prinzip beim Publikum ankommt, ihm entgegenkommt, auf Dauer durchzuhalten ist beziehungsweise die Betrachter letztlich nur zum Googeln anhält, sei dahingestellt.
Aber es gibt noch eine zusätzliche erklärte Reduzierung: Komplett heißt der Titel der Schau „Malso13 zeigt 90 Prozent“. Nun sind die Betrachter aufgerufen, ihre eigene Antwort zu finden auf die Frage: „90 Prozent wovon?“ Auf Nachfrage wird immerhin ein Anhaltspunkt unter allerhand möglichen gegeben: „Es könnte sein, dass eine Person, die nur 90 Prozent der verfügbaren Ressourcen hat, möglicherweise kreativer und flexibler ist als jemand, der alle Ressourcen zur Verfügung hat und sich auf diese verlässt, anstatt neue Wege zu finden.“ Eine Interpretation dieses Anhaltspunkts jedenfalls ist gut bekannt in der Kunstgeschichte: Regulierungen fordern zu neuen, eigenen, individuellen Lösungen heraus.
Geistreich und glücklich wird malerische Dreidimensionalität im zweidimensionalen Bildträger auseinandergesetzt

Aber lassen wir das Ausgestellte tatsächlich für sich sprechen. Wer das Auge reizt, sich ausgiebig mit seinem Großformat zu beschäftigen, ist: Youngyun Lee. Grafisches und Malerisches ist in „8 Layers“ vielfach geschichtet; diverse Rasterstrukturen und abstrakt-gestische Malerei stehen in hohem Spannungsfeld und entfalten Raum und Tiefe. Da wird sich geistreich und glücklich mit malerischer Dreidimensionalität im zweidimensionalen Bildträger auseinandergesetzt. Und auch die zweite, kleinere Arbeit Lees zieht an, gewissermaßen durch ein dunkles Leuchten. Ob Youngyun Lee ein Weiblein oder Männlein ist? Spielt keine Rolle. Doch darf auf Markus Oehlen als Lehrer getippt werden.
Es sind weitere, auf eigene Art vielschichtige Werke, die in „90 Prozent“ gesteigerte Aufmerksamkeit beanspruchen. Da ist Jan Rybniceks Mixed-Media-Großformat „Bilder im Kopf“, das düstere Gedanken in einem zerspaltenen Angesicht festzuhalten scheint – und dafür neben gesprühten Passagen auch eine zerstörte Bild-Partie nutzt. Daneben hängen zwei Materialbilder von PNIK, die gefaltete Papierdokumente wie Lieferscheine, Rechnungen, Bestellungen, Listen zu strukturierten Zettel-Landschaften fügt. Und es zieht Andrej Auchs „Nachbarzone“ an, gleichfalls eine Landschaft, nun aber eine Mal-Landschaft, in der feine Tusche auf pastoseres Acryl trifft und buntes Konfetti auf durchaus nicht effekthascherische Weise integriert wird.
Aber auch das Gegenteil des Vielschichtigen vermag zu beeindrucken; dies macht ja Kunst und Ästhetik in der Begutachtung so überraschend und herausfordernd. Judith Grassl widmet sich in „Rippenbaum“ einem zergliederten Menschenbild. Haben die Kubisten diverse Körperperspektiven kombiniert, so kombiniert sie (zumindest drei) großformatige flächige Puzzle-Teile, um abstrahierend Figuratives zusammenzusetzen. Solche Körperauffassung – vergleichbar einer Papiercollage – darf Schöpfungshöhe beanspruchen.
Die neue Schau im Kunstraum Leitershofen fährt Risiko. Seitens der Künstler, seitens der Galeristen. Die, die wissen wollen, wie’s mit den Künsten weitergeht, sind die Nutznießer.
Geöffnet bis 26. November, Sa. und So. zwischen 15 und 18 Uhr.