
Kein Bergfilm und kein Heimatfilm

Das Liliom Kino zeichnet Hans Steinbichler für seinen Film "Ein ganzes Leben" aus. Der Filmemacher ist erstaunt, wie viele Augsburger das dazugehörige Buch kennen.
Die Verfilmung von Robert Seethalers Roman "Ein ganzes Leben" ist heute ein gewagtes Unterfangen: Ein ruhiger, bedachter Film inmitten einer Kultur der Reizüberflutung hat Seltenheitswert und muss sein Publikum erst finden. Das Leben des Andreas Egger ist schnell erzählt, und doch wieder nicht: Waisenkind, Knecht und Gelegenheitsarbeiter, Soldat, Ehemann, Witwer und schließlich Relikt längst vergangener Zeiten in seinem Tal irgendwo in den Alpen, das er, bis auf durch Krieg und Gefangenschaft, nie verlassen hat.
Die Figur des vom Leben wie ein Ball im Flipper-Automaten hin und her geschossenen Egger könnte tragischer kaum sein, doch er lässt sich nicht unterkriegen, obwohl er nie über die unterste Stufe der sozialen Leiter hinauskommt. Mit stoischer Gelassenheit nimmt er an, was das Leben ihm hinwirft, und versucht stets, das Beste daraus zu formen. Oberflächlich betrachtet, könnte man von einem langsamen, getragenen und wortkargen Film sprechen, doch wer sich auf die Geschichte einlässt, entdeckt gewaltige Räume zur Reflexion.
Viele Zuschauer hatten das Buch zum Film "Ein ganzes Leben" gelesen
Regisseur Hans Steinbichler erhielt am 15. November den Liliom Cinema Award für seinen Film. Beim Publikumsgespräch entspann sich eine Diskussion über den Film, das Buch und die Entstehungsgeschichte. Rund 60 Prozent der Anwesenden hatten das Buch gelesen, was den Regisseur sichtlich beeindruckte, denn normalerweise ist diese Zahl maximal halb so hoch. Allem voraus schickte Hans Steinbichler, dass der Film weder Heimat- noch Bergfilm ist. Stattdessen handelt es sich um ein universelles Drama, das in den Bergen spielt.
Der Bergfilm sei sowieso ein kritisches Genre, erklärt er: Die visuell ansprechenden und technisch beeindruckenden Bergfilme von vor hundert Jahren prägen noch heute, doch sind sie voll von Nazi-Ideologie und damit vergiftet. Die hier erzählte Geschichte kann jedoch auch in anderen Lebensumständen angesiedelt werden. Daher achteten die Filmemacher schon früh auf die globale Nutzbarkeit des Werkes, indem sie zum Beispiel auf Dialekt verzichteten und stattdessen künstlich eine Art leicht verständliches Tirolerisch schufen. "Das Buch ist universell, gilt auf der ganzen Welt. Jeder kann etwas für sich mitnehmen", so Steinbichler, "da ist etwas drin, was die Leute berührt".
Hans Steinbichler hat ein besonderes Verhältnis zu Robert Seethaler
Als Regisseur hat Hans Steinbichler ein besonderes Verhältnis zum Autor Robert Seethaler, der früher selbst Schauspieler war. Steinbichler hatte bereits dessen erstes Drehbuch "Der Zierfisch" verfilmt als "Die zweite Frau", was dieser wiederum als "Die weiteren Aussichten" in Romanform herausgab. Steinbichler wollte schon lange unbedingt "Ein ganzes Leben" verfilmen, doch wollten die Rechteinhaber zunächst einen österreichischen Regisseur. Steinbichler, im Chiemgau unterhalb der Kampenwand aufgewachsen, durfte sich schließlich doch an den Stoff heranwagen.
In nur 46 Drehtagen mussten alle Jahreszeiten und viele Jahrzehnte untergebracht werden – eine Herkulesaufgabe. So bedurfte es massiver Planung in allen Bereichen, insbesondere Ausstattung und Maske. "Es gab Drehtage", so Hans Steinbichler, "da hatte ich drei Eggers, zwei Wirte und andere vor mir stehen". Alles dieselben Schauspieler, nur um Jahrzehnte gealtert und in weiterentwickelten Ortschaften. Der Aufwand hat sich gelohnt: Die Geschichte eines friedfertigen Mannes, das ihm gegebene Leben zu ertragen, immer den nächsten Schritt zu gehen, nie nach hinten zu schauen, und dabei auch noch Zufriedenheit und etwas Glück zu finden, ist ganz großes Kino.
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