Mindestens vier Seelen, ach, wohnen in seiner künstlerischen Brust. Die des solistischen Violinkonzert- und Kammermusik-Virtuosen; die des praktischen Förderers an der Spitze jener Gesellschaft, die für das Werk des Komponisten Mieczyslaw Weinberg eintritt; die des großen Freunds brasilianischer Samba-Musik; und die des Geigenprofessors am Augsburger Leopold Mozart College. Mithin gilt: Ein Mangel an selbstgewählter Beanspruchung und breitgefächerter Verantwortung kann Linus Roth kaum nachgesagt werden.
Jetzt kam er spektakulär in den Konzertsaal des Leopold-Mozart-College in der Grottenau – zwischen Auftritten mit dem Israel Symphony Orchestra, beim Festival Schwäbischer Frühling und im Rahmen eines Festivals auf Ibiza, wo er künstlerischer Leiter ist und wo mit ihm noch im Juni auch ein Tango- und Flamenco-Programm erklingen wird. Dazwischengeschaltet aber ist eine kleine Tournee mit dem sogenannten Johann Sebastian Rio-Orchester, mit dem Roth nun auch seinen Augsburger Abend bestritt.
Das Programm hat Linus Roth schon auf CD präsentiert
Johann Sebastian Rio? Das erinnert natürlich an das alte Bonmot: Nicht Bach sollte er heißen, sondern Meer! Das Wortspiel, Beethoven zugeschrieben, lautet quasi in Brasilien: Nicht Bach sollte er heißen, sondern Fluss (rio). So kam in Verehrung des bedeutendsten deutschen Barockkomponisten das rund 20-köpfige Kammerorchester, in Rio de Janeiro stationiert, auf seinen Namen – damit aber nicht die selbstgewählte Aufgabe alleinig umreißend. Denn es pflegt eben auch die oder den brasilianische(n) Samba. Linus Roth und das Ensemble haben solche – Bach nicht verwurstende – Parallelität schon auf CD dokumentiert und nun bei gleicher Abfolge auch in Augsburg präsentiert.
So steht er also live da, Linus Roth, mit der Stradivari „Dancla“ von 1703 und interpretiert erst Bachs populärstes Violinkonzert E-Dur, BWV 1042, um dann umzuschalten erst auf den brasilianischen Nationalkomponisten Heitor Villa-Lobos und schließlich auf viele Sambas, die auch in Europa wohlbekannt sind, an der Spitze wohl „Das Mädchen aus Ipanema“. Wenn beide Programmteile – über eine kurze Bach-Reminiszenz von Villa-Lobos und des Samba-Arrangeurs Ivan Zandonade hinaus – in künstlerischer Verbindung stehen, dann wohl darüber, dass Bachs Konzert doch eine Spur beschwingter, tänzerischer als üblich erklingt. Aber noch mehr kann begeistern, dass Linus Roth samt Orchester das Werk in allen drei Sätzen so dicht, kontinuierlich, ohne Nachlass „aufziehen“, wie man spannungsgeladen-langsam einen Vorhang aufzieht, auf dass die Bühne in ihrer kompletten Schönheit peu a peu sichtbar werde. Stark.
Der Solist Roth geht hier auf leichteren Füßen
Schließlich die Sambas, die Roth – naturgemäß – lockerer machten und so manchen Orchestermusiker (Gitarre, Schlagzeug) bei verändertem, stark synkopiertem Rhythmus ins Licht setzten. Der Samba gerät hier praktisch taktvoll außer Takt, eine stilvolle Tanzmusik, zunehmend feuriger dargebracht. Und Linus Roth trägt seinen solistischen Teil quasi als lächelnder Stehgeiger und tänzerischer Bruder Leichtfuß an der Copacabana mit Drückern, Verschleifungen, Schluchzern bei. Dass hier authentisch musiziert wird, dafür stehen – bei fünf hospitierenden Studenten des LMC – der Chefdirigent der Oper Rio ein (Konzertmeister) sowie u. a. zwei Professoren von der Musikhochschule Rio. Toll, wie das alles musikalisch und organisatorisch im Zusammenspiel klappt.
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