Wenn die Augsburger Philharmoniker regelmäßig im MAN-Museum zwischen historischen Diesel-Ungetümen musizieren, warum sollen dann vierzig Finger, acht Hände, vier Pianisten nicht zwischen fabrikneuen, gewienerten Edel-Karossen auftreten? In beiden Fällen, möchte man meinen, ist das Rendezvous ja nachgerade ein Ideales: Die Maschine ruht umweltfreundlich und still; der Mensch nutzt die ihm eigene Kraft, Dynamik, Beweglichkeit, Seele. Nichts, gar nichts dagegen einzuwenden.
Also versammelten sich einmal mehr die namhaften Pianisten Sebastian Knauer, Martin Tingvall, Joja Wendt und Axel Zwingenberger. Gipfeltreffen, Summit im Autohaus Reisacher, Außenstation des Festivals Mozart@Augsburg. Berührungsängste gab es wahrlich keine; schon sehr früh am Abend befand der auch moderierende Joja Wendt am Mikro: "Nun habe ich alles getan für das Produkt des Hauses." Zu diesem Zeitpunkt nämlich hatte er bereits scherzhaft die beiden zur Verfügung stehenden nachtschwarz-edlen Steinway-Flügel mit der "Krone der Schöpfung der Automobilindustrie" tituliert - und seine Klaviermitstreiter verglichen mit der Siebener-Serie (Knauer), mit dem Z8 (Tingvall) und mit dem 502 (Zwingenberger). Wobei letzteres besonders apart ist, weil ja diese deutsche Boogie-Woogie-Legende ausgewiesenermaßen auch ein Riesenanhänger des Triebkopfs eines Massenverkehrsmittels ist: der Dampflokomotive.
Mozart@Augsburg: Ein Auftakt mit beliebten George-Gershwin-Standards
So viel also erst einmal zum enormen außermusikalischen Spannungsfeld dieses Klavierrecitals, das mit beliebten Gershwin-Jazz-Standards wuselig, einigermaßen verknotet, per Über- sowie Untergriff und zu Standing Ovations endete: Da hatte das Pianisten-Quartett an nur einem Flügel praktisch alle Hände voll zu tun, sich nicht ins Gehege zu kommen. Aber es klappte. Schließlich haben alle weit, weit mehr in die Zeit des Klavierstudiums gesteckt als - beispielsweise - in den Nachweis zur Berechtigung des Führens eines Kraftfahrzeugs.
Nun aber im Ernst. Auch wenn Joja Wendt einigermaßen hochdramatisch nach dem Motto "Maschinen, Pianisten, Sensationen" moderierte: Dieser Abend war beileibe nicht nur eine Demonstration von Tempo und Hochgezüchtetem. Er besaß über gute Strecken auch immense Einfühlsamkeit. Etwa in Sebastian Knauers Auftakt mit Chopin, Vivaldi und Schubert, etwa im skandinavisch-elegischen Piano-Jazz von Martin Tingvall, dazu, wenn Axel Zwingenberger, dieses gewinnende Honigkuchenpferd am Klavier, mal nicht den Boogie rollen lässt, sondern in den langsamen, tiefen, leidenden Blues einsteigt. Und wenn alle vier ein cis-Moll von Rachmaninoff hernehmen, um darüber im fliegenden Wechsel jazzig zu fantasieren. Da bleibt die Musik an außergewöhnlicher Spielstätte ganz bei sich. Toll, weil virtuos und sensibel gleichermaßen. Interessant aber auch zu hören, dass der größte gemeinsame musikalische Nenner, das Genre, das in der Improvisation den Kitt für alle bildet, der Blues mit seinen Strukturen ist.
Axel Zwingenberger war der Abräumer
Freilich trat auch das ein, was abzusehen war: Der Abräumer des Abends, der, dem die Gunst des Publikums besonders zuflog, der hieß Zwingenberger. Da blieb kaum ein Knie ruhig; Rhythmus, dass jeder klatschend mitmuss. Variantenreich deklinierte er das 12-Takt-Schema des Boogie bis zur Ekstase durch, bis zum zitternden Flügeldeckel. Hinreißend. Wenn Zwingenberger der verbindlichste Pianist des Abends war - sozusagen die Zündkerze -, dann Knauer ein Mann der Tiefenbohrung, Joja Wendt ein Allrounder und Martin Tingvall der Musiker mit der höchsten spontanen musikalischen Risikobereitschaft.
Wovon das Recital in mehrerlei Hinsicht getragen wurde? Von B wie Bravour, M wie Motorik, W wie Wirkkraft.