Musik von Brahms mit Werken ungarischer Komponisten zu kombinieren, ist gerne geübter Brauch der Programmgestaltung. Ist ja auch mehr als nur ein Klischee, dass zwischen diesen musikalischen Hemisphären Verbindungen bestehen, und keineswegs nur wegen Brahms‘ „Ungarischen Tänzen“. Ihn zusammenzuspannen mit Antal Doráti (1906-1988) ist aber doch ungewöhnlich, schon deshalb, weil der Name Doráti für eine der großen ungarischen Dirigenten-Persönlichkeiten steht, kaum jedoch für den Schöpfer eigener Werke. Aber Domonkos Héja, Augsburgs Generalmusikdirektor und selbst Ungar, ist dankenswerterweise daran gelegen, dem hiesigen Publikum nicht nur hinreichend bekannte ungarische Komponisten wie Bartók zu präsentieren, sondern auch überraschende Begegnungen zu ermöglichen wie nun im Falle Dorátis.
Den Rahmen des 4. Sinfoniekonzerts der Augsburger Philharmoniker aber bildete Brahms. Eingangs mit einem ebenfalls ungewöhnlichen Werk, einer Uraufführung sogar: den Variationen über ein Thema von Robert Schumann, im Brahmsschen Original für zwei Klaviere gesetzt, im Kongress am Park nun in einer Orchesterfassung von Wolfgang Renz. Das Ausgangsthema, jenes von Schumannsr „Geistervariationen“, ist eines der traumverlorensten des ganzen Zeitalters, und der Instrumentator Renz weiß damit entsprechend umzugehen. Sanft wird das Thema allein von den Streichern vorgestellt, passend dazu lässt Dirigent Héja viel Raum zur Entfaltung. Die folgenden zehn Variationen ziehen freilich auch andere orchestrale Seiten auf, scharfkantige Tutti, Solistisches von den Holzbläsern, Choralhaftes - der Arrangeur kennt die Klangwelt Brahms‘, was im Konzert dann gleich an dessen 3. Sinfonie zu überprüfen war. Eine gelungene Adaption in der Summe, und Wolfgang Renz, ehemals Oboist bei den Philharmonikern, dankte gerührt für den Applaus, der auch seitens der Ex-Kollegen von der Bühne erfolgte.
Hörbar eine Herzensangelegenheit von Héja
Um noch bei Brahms zu verweilen, dessen Dritte im zweiten Teil des Abends erklang: So, wie Domonkos Héja sie formt, sie mit enormer Strahlkraft auflädt und dabei das Formgebäude durchsichtig hält, lässt die F-Dur-Sinfonie den Schluss zu, nichts weniger als eine tönende Herzensangelegenheit des Dirigenten zu sein. Kernig, muskulös das in die Tiefe sich stürzende Hauptthema des ersten Satzes, im Seitenthema von warmer, duftiger Holzbläser-Befriedung. Und bei allen Klangballungen, die Héja im weiteren Verlauf durchaus auskostet, bleibt stets der wiegende Rhythmus des Satzes spürbar, der gerade auch in der Durchführung mancher Wucht die Schwere nimmt.
In bestechender Form die Augsburger Philharmoniker. Schlicht berückend das Quartett der Holzbläser zu Beginn des langsamen Satzes, unterlegt von hauchzart stützenden Streichern, die dann mit schimmerndem Schmelz im Mittelteil in den Vordergrund treten. Klangbravour auch im dritten Satz, voll sanglicher Melancholie das Thema, Melancholie, die Héja selbst bei Steigerungen nicht in vordergründigen Geschmerztheit überführt. Höhepunkt in jeder Hinsicht dann das finale Allegro, in dem Héja immer wieder neu den Knoten schürzt und berstende Innenspannung entstehen lässt, um gleich wieder in Beruhigung und Rekreation hinüberzuführen. Wie auch in der Coda, im fantastisch aufgespannten F-Dur-Orchesterpianissimo, dem Schlussakkord der Sinfonie.
Oliver Triendl, der Archäologe unter den Pianisten
Zwischen zweimal Brahms das 1974 entstandene Konzert für Klavier und Orchester von Antal Doráti. Ein Flaggschiff in Dimension und Anspruch, in seinem spätromantischen Gestus und den solistischen Herausforderungen vergleichbar den Konzerten Rachmaninows. Oliver Triendl, erklärter Archäologe auf dem Grabungsfeld vergessener Klaviermusik, hat sich des Schwergewichts nicht erst für seinen Augsburger Auftritt angenommen, mit der Staatskapelle Weimar hat er das Doráti-Konzert auch schon eingespielt, am Pult mit dabei - Domonkos Héja. Man hört und sieht den beiden an, dass sie mit dem Werk vertraut sind, spürt, dass da ein Gespann agiert, das unbedingt überzeugt ist von der Qualität dieses Konzerts.
Bestechend ja auch, wie Doráti aus Kernmotiven durch deren variable Verwendung - „Wandelbar“ lautet passend das Motto dieses Sinfoniekonzerts - höchst unterschiedliche Atmosphären zu schaffen vermochte. Gleich im ersten Satz etwa das solistische Auftrittsmotto, eine erst auf-, dann gleich wieder absteigende Intervallfloskel, die in allerlei Metamorphosen in diesem ersten Satz erscheint. Blendet Doráti hier noch zu großem romantischem Volumen auf, so kennzeichnen hämmernde Repetitionen - ein Signet der Moderne - den Klavierpart des Finalsatzes, furios in die Tasten getrieben von Oliver Triendl.
Wenn das mobile Endgerät trillert
Dazwischen immer wieder Momente der Besänftigung, nicht nur im langsamen Mittelsatz mit seinem fast statischen Solisten-Thema und den geheimnisvoll-opaken Orchesterfarben. An einer dieser ruhevollen Stellen im Schlusssatz, Triendl leiser und leiser werdend, ein zunehmend zudringliches Trillern irgendwoher aus dem Saal von einem mobilen Telefonie-Endgerät. Der Solist irritiert, indigniert den Blick ins Auditorium gerichtet, innehaltend für einen Augenblick - und dann Profi genug, um das Konzert inspiriert und hochvirtuos zu Ende zu bringen. Begeisterter Applaus. Und ein souverän sich selbst zurücknehmendes Zeichen Triendls an das fulminant begleitende Orchester - zwei Zugaben mit Triendl am Klavier und Julien Chappot, dem Solocellisten, ein Liszt-Csárdás zum Ersten, gefolgt von Kodálys Romanze.
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