Niemand achtet auf Hinterhöfe. Ein Paar Quadratmeter Asphalt im Schatten prachtvoller Gründerzeitfassaden, Heimat für Fahrräder mit platten Reifen, Mülltonnen und Aschenbecher, begrenzt durch angerostete Zäune oder Garagen. Oder eben durch kleine, geduckte Hinterhäuschen, in denen Studios oder Werkstätten untergebracht sind. Meister Eder lässt grüßen. Im Werk 9 in der Bismarckstraße werden im Hinterhof Fahrräder hergerichtet, Körperteile tätowiert und Gold geschmiedet. Letzteres von Andreas Füger, dessen Werkbänke einer aus Paletten improvisierten Bühne weichen mussten, auf der die Veröffentlichung der Debüt-LP der Augsburger Indie-Poeten Rabenbad zelebriert wurde.
„Dieser Ort erzählt eine Geschichte, zu der aus unserer Sicht Musik gehört. Daher ist es uns wichtig, dass hier immer wieder Livebands spielen“, sagt Füger. „Doch eben nur zu besonderen Anlässen“ - wie ein Tag der offenen Werkstatt oder eben ein Releasekonzert einer Band, der man persönlich verbunden ist. Man achtet darauf, dass Veranstaltungen nicht kommerzialisiert werden und vor allem, dass man es sich nicht mit den Nachbarn verscherzt, denn das Werk ist einer dieser Orte, die aus vielen Häusern erst ein Viertel machen.
Präziser Beobachter seiner Umgebung: Bene Kramer
Dass die Antonsviertel-Bande Rabenbad an diesem milden Abend im Bismarckviertel überhaupt die Geburt ihrer Platte „Hochzoll-Süd“ (Kleine Untergrund Schallplatten) feiern können, ist Geburtshelfer und Labelchef Ronny Pinkau zu verdanken. Der erkannte in den drei über einen langen Zeitraum aufgenommenen Sessions der Band eine Songabfolge für ein Album, das die Lyrik von Bene Kramer in ein musikalisches Gewand einspinnt. Kramer ist ein präziser Beobachter seiner Umgebung und seiner Mitmenschen, bei manchen Observationen scheint er verblüfft von außen draufzuschauen, bei manchen ist er selbst mitten im Geschehen.
So wie beim Titeltrack der LP, eine schonungslose Beschreibung eines kleinen, geschlossenen Kosmos am Stadtrand, wo über Generationen vererbte Ordnungsliebe auf adoleszente Vorstadtrebellion trifft. Die Orgel von Flo Schanz, der exaltierte Vortrag Kramers und die simplen, reduzierten Figuren aus Sandro de Nobilis Schlagzeug mag unter Umständen von „Riders on the Storm“ von den Doors geklaut sein. Doch wo kein Kläger, da kein Richter, und der lange Spannungsaufbau, der mal in sich zusammenfällt, mal schnell explodiert, ist eine schöne Allegorie auf das Leben an sich: lange, repetitiv, mit Höhen und Tiefen, mit Momenten, in denen alles Aufgestaute ausbricht wie der Vesuv, und anderen Momenten, in denen es klüger ist, still zu bleiben.
Keyboards bestimmen den Charakter von Rabenbad
So wie die Texte die Stimmung der Songs setzen, bestimmen Schanzs Keyboards deren Charakter. Der erinnert mal an die Kinks, mal blickt er verschämt auf eine vorbeirollende Neue Deutsche Welle, mal grüßen die Schwesternbands San Antonio Kid und AB Repeat, mal Jochen Distelmeyer, und immer wieder die Sterne. Hamburger Schule also, die auch ein guter Referenzpunkt für Sound und Performance der Band wäre, nur dass sie eben gemütlicher, im positiven Sinne schnauzbärtiger, weniger lehrerhaft wirken als ihre hanseatischen Vorbilder. Augsburger Schule eben. Kramer singt lieber über die ewige Philosophiererei der Philosophen, anstatt selbst einen zu mimen. Auch hier tritt der rote Faden seiner Texte deutlich hervor: Mit einem Hauch Verwunderung in Worte gefasste Beobachtungen von Lebensrealitäten, die oft weit entfernt von den eigenen sind.
Die Band treibt, das Werk 9 ist randvoll, die Temperaturen tropisch, und selbst wenn die vier Musiker das Tempo zügeln und zu lakonischem Indiepop wechseln, hält Kramer die Spannung durch interessante Phrasierungen und exotische Silbenbetonungen hoch. Dank schöner deutscher Worte wie Katasteramt, Laubbläser, Schilderwald oder Fluorzahnpasta verspürt man den plötzlichen Drang, mit ungeputzten Zähnen über eine rote Ampel zu gehen. Am besten in Hochzoll-Süd. Rabenbad und ihr Label Kleine Untergrund Schallplatten sind wie Hinterhöfe. Oft unsichtbar, ein bisschen schmutzig, aber eben wichtig. Weil sie dabei helfen, aus vielen Kreativen eine Szene zu machen.
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