Und immer wieder das Kleid. Seine kurzen Ärmel, sein runder Halsausschnitt, seine meist taillenlosen Schnitte ziehen sich wie ein Leitmotiv durch diese Ausstellung von Christina von Bitter. Mal als Miniaturzeichnung, mal als kleines Wandobjekt, mal als gleichsam schwebende Papier-Draht-Skulptur im freien Raum, mal als schwere Bronzeplastik auf dem Rasen. Wie viel sich doch entzünden kann an so einer schlichten Zeichnungsvokabel, die jetzt erfindungsreich durchdekliniert wird im Kunstraum am Pfarrhof in Leitershofen. Wofür das Kleid steht in seiner ersichtlich figurativen Stellvertreterfunktion?
Für sie bleibt Kunst ein Geheimnis: Christina von Bitter zeigt 70 ihrer Werke
Christina von Bitter, 1965 in Erlangen geboren, will das weitgehend offen lassen, sie spricht nur von einer Hülle, die den Körper umkreist, umspielt. Kunst sei Kunst, nicht ersetzbar durch Wort und Schrift; sie bleibe ein nonverbales Geheimnis wie – gesteigert noch – die absolute Musik.
Damit aber hat sich nun jeder Betrachter der Leitershofer Schau mit ihren über 70 Werken selbst und eigenständig einzulesen in die zeichnerisch-malerische, skulpturale Kunst der Christina von Bitter, hat selbst und eigenständig Kontexte zu erspüren und Intuition walten zu lassen. Es ist wie so oft bei anspruchsvoller alter und neuer Kunst: Die Hälfte des schöpferischen Akts besteht aus der Augenarbeit und der Einfühlungsgabe der Betrachter. Zu erlernen ist eine unbekannte Bildsprache. Freilich: Eine Saite muss dafür durch das visuell Dargebrachte schon angerissen werden.
Christina von Bitter ist eine ausgesprochen musikalische Künstlerin
Das Kleid, das Kleidchen reißt eine Saite an – ebenso wie andere Dinge des täglichen Bedarfs, die Christina von Bitter, einst Berliner Meisterschülerin von Lothar Fischer, als Bildvokabeln nutzt: das Haus, die Leiter, Schuhe, Gefäße wie Kannen (in Großskulptur) und Tassen (als Stillleben), ein Miniaturklavier, aber auch ein phantastisches Luftschiff. Was diesen anklingenden Saiten weit überwiegend eigen ist? Eine Leichtigkeit durch Freistellung auf der Fläche oder im Raum, eine Leichtigkeit durch Materialien wie Papier und dünner Draht, eine Leichtigkeit auch durch helle, dezente Tönung. Andererseits jedoch erhält auch ein ahnungsvolles, vielleicht tragisches Schwarz seinen Auftritt – und mit ihm ein starker Kontrast. Zusammen genommen jedenfalls ertönt aus dem Lichten wie aus dem Dunklen eine lyrische Stimme, die ein leises Lied von der Überhöhung natürlicher Dinge summt.
Ja, Christina von Bitter ist eine ausgesprochen musikalische Künstlerin. Zu ihrer Welt, die sie lebt, gehört – wie etwa auch bei Jorinde Voigt – das Bilden und das Musizieren. Und in diesem Zusammenhang bleibt es nahezu unerlässlich, zudem Karl Bohrmann zu nennen, diesen wunderbar leisen, lyrischen deutschen Zeichner und Maler, der doch in frühen Jahren als Komponist auftrat. Denn mit dessen Bildwelten haben Christina von Bitters Bildwelten durchaus etwas Gemeinsames: ähnliche Motive (wie Kleid, Stuhl, Haus, Leiter, Gefäße), ähnlich zarte Präsenz, ähnlich behutsames Saitenzupfen aus der Stille heraus.
Wie der Blitz habe sie einst Michelangelos Pieta im römischen Petersdom getroffen
Spricht man sie auf diese Verwandtschaft an, dann bestätigt sie einen Einfluss Karl Bohrmanns auf ihre Kunst – freilich neben den Einflüssen vieler Künstler, angefangen bei Michelangelo, fortgesetzt bei Vertretern der klassischen Moderne wie Kirchner und Klee, nicht endend bei Morandi und Picasso. Christina von Bitter nüchtern und trocken: „Kunst kommt von Kunst“. Wie der Blitz habe sie einst Michelangelos Pieta im römischen Petersdom getroffen: „Ich habe geheult.“ Und sie folgert: „Wer solch eine Erfahrung einmal gemacht hat, der hat einen Schlüssel zur Kunst.“
Betrachten wir also Christina von Bitters schwebende Kleider, die nicht preisgeben, was sie umhüllen, ihre scheinbar lebenden Kannen, ihr segelndes Luftschiff, ihre Leitern, die in den Himmel führen, ihre Bronze-„Sitzende“, bei der Kleid, Figuratives und Stuhl eine abstrahierende Einheit bilden.
Info: Laufzeit in Leitershofen, Bergstraße 3: bis 6. Juli. Öffnungszeiten: Samstag und Sonntag von 15 bis 18 Uhr oder nach Vereinbarung unter 0151 18 45 25 18.
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