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Augsburger Philharmoniker: Sinfoniekonzert mit Schostakowitsch: Ist hier Kritik zu hören an der Revolution?

Augsburger Philharmoniker

Sinfoniekonzert mit Schostakowitsch: Ist hier Kritik zu hören an der Revolution?

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    Schostakowitsch widmete seine 12. Sinfonie der Erinnerung an Lenin, den Anführer der Russischen Revolution von 1917.
    Schostakowitsch widmete seine 12. Sinfonie der Erinnerung an Lenin, den Anführer der Russischen Revolution von 1917. Foto: Uncredited/Russian State Archive of Social and Political History, dpa (Archivbild)

    Schostakowitsch und die Sowjetunion: Das ist ein großes, kontroverses, wahrscheinlich niemals auszudiskutierendes Thema. Der Komponist, unter Stalin bedrohlich hart angegangen für sein Kunstverständnis, wie stand er gerade mit seinen Sinfonien zum Sozialismus, wie er sich im Faktischen niederschlug, und auch, wie ihn die Partei repräsentierte? Ging Schostakowitsch affirmativ zur Sache - ob aus Angst, Kalkül, Überzeugung - oder kritisch - aus humanistischem Hier-stehe-ich-und-kann-nicht-anders? Fragen wie diese werfen gerade die in Schostakowitschs Sinfonik immer wiederkehrenden Stellen des Grellen, Gehetzten, Fratzenhaften auf, auch in seiner 12. Sinfonie in d-Moll sind sie zu finden. Wie aber sind diese musikalischen Gesten zu verstehen in einem Werk, dem der Komponist selbst den Titel "Das Jahr 1917" mitgegeben hat, Bezug nehmend auf die epochale Oktoberrevolution in Russland? Ist dieser Titel nur Maske, hinter welcher der Komponist mit musikalischen Mitteln Kritik übt an dem, was die Revolution mit sich brachte?

    Wie gesagt, eindeutig ist die Lage nicht. Und das nicht nur, weil Schostakowitsch 1961, als die 12. Sinfonie zu Ende komponiert war, in die Staatspartei aufgenommen wurde - oder, vorsichtiger formuliert, sich dem Zugriff der Partei nicht (mehr) zu entziehen vermochte. Schwerer wiegt, dass der 1906 geborene Schostakowitsch laut eigener Aussage selbst einst Zeuge des Revolutionsgeschehens war und davon einen "unauslöschlichen" Eindruck mitgenommen hatte. Von welcher Art aber war dieser Eindruck? War es faszinierte Zustimmung für den Revolutionsführer Lenin, den er bei seiner Ankunft in St. Petersburg selbst zu den Massen reden gehört hatte? Und wenn es so war, konnte es Schostakowitsch doch nicht entgangen sein, dass Lenin und die übrigen Revolutionäre, als sie die Macht dann in Händen hielten, vor allem eines im Sinn hatten: die Einführung des Terrors. Trotzdem versah er seine Zwölfte mit der Widmung "Zur Erinnerung an Wladimir Iljitsch Lenin". Zustimmende Erinnerung? Mahnende Erinnerung?

    Schostakowitsch-Konzert in Augsburg: Ist das nicht eine eingefahren westliche Sicht der Dinge?

    Zweifellos ein verworrenes Gespinst, in das Schostakowitschs 12. Sinfonie eingesponnen ist, und allemal eine Herausforderung für ihre Interpreten, wie jetzt für die Augsburger Philharmoniker unter Generalmusikdirektor Domonkos Héja beim Saisonauftakt im Kongress am Park. Wobei Héja in seiner Lesart der Sinfonie nicht dem dialektischen Für und Wider, dem Aufzeigen verschiedener Möglichkeiten zuneigt, sondern in der plakativen Art und Weise, wie er gerade die besagten abgründig schrillen Momente herausstellt, Schostakowitsch eindeutig Systemkritik betreiben lässt. So schmerzhaft, wie Héja das Orchester in die harmonischen Reibungen, die dynamischen Ballungen des ersten Satzes (überschrieben mit "Revolutionäres Petrograd") treibt, lässt das keinen anderen Schluss zu, als dass hier die Revolution als etwas unheilvoll Chaotisches in Klang gesetzt werden soll. Héja jedenfalls ist weit davon entfernt, der Zwölften auch nur einen Hauch des Billigenden, Zustimmenden angedeihen zu lassen. Aber hatte das auch Schostakowitsch im Sinn, der sein ganzes Leben in Russland blieb, ist das nicht vielmehr eine eingefahren westliche Sicht?

    Welche Bedeutung schrieb Dmitri Schostakowitsch seinen Sinfonien ein?
    Welche Bedeutung schrieb Dmitri Schostakowitsch seinen Sinfonien ein? Foto: dpa, Archivbild

    Die beiden mittleren Sätze der Sinfonie hält Héja wirkungsästhetisch mehr in der Schwebe, was ihrer Spannung gut bekommt, vor allem dem dunkel getönten, unheimlich mäandernden Adagio. Hier und auch im folgenden scherzohaften "Aurora"-Satz kommt packend das Differenzierungsvermögen der Philharmoniker zum Tragen, eine Fähigkeit, die man im Finalsatz vermisst, buchstäblich schmerzlich vermisst: Eine Walze aus rohem Tuttiklang macht hier alles platt. Gewiss, Schostakowitsch schreibt teils vierfaches Forte vor, und Héja scheint von seinen Musikerinnen und Musikern hier wirklich Explosionen zu fordern - in ideeller Analogie zum ersten Satz als krachend eindeutigen Kommentar zur postrevolutionären "Morgenröte der Menschheit", wie Schostakowitsch sein Finale betitelte.

    Die problematische Akustik auf der Augsburger Kongressbühne

    Ein Wort ist hier, zum wiederholten Mal, zu sagen über das Lautstärkevolumen, das Héja dem Orchester abverlangt. Wäre es nur der Schostakowitsch gewesen, man hätte die teilweise extremen Dynamikspitzen als gewollt überzeichnend, als konzeptuell notwendig verbucht. Doch der auf Anschlag gedrehte Pegel, der sich da ins Auditorium entlädt, betraf auch das vorausgehende andere Hauptwerk des Abends, die Sinfonietta von Leos Janácek. Nun ist hierfür gewiss eine außergewöhnliche Besetzung vorgeschrieben, treten doch zu den sonst (grob gepeilt) üblichen drei Trompeten noch weitere neun hinzu, von zusätzlichen Weiterungen des Blechregisters ganz zu schweigen. Und all diese Bläser haben sich in der engen Muschel der Kongressbühne tönend zu entfalten, was die akustischen Gegebenheiten des Saals schlicht überfordert - jedenfalls im fünften und letzten Satz der Sinfonietta, wenn sich die berühmten Trompetenfanfaren vom Beginn des Stücks erneut einstellen und mit dem restlichen Orchester vermischen.

    Das thematische Gegeneinander im Tutti dieses Schlusssatzes ist ausgesprochen reizvoll, wenn es denn zu hören ist. Unter den gegebenen akustischen Verhältnissen aber wird es, stur im Fortissimo vorangetrieben, zur undifferenziert an die Ohren schlagenden Klangkeule. Und eben hier liegt das Problem: Das Werk, die Musik nimmt Schaden. Und nicht nur bei einem Janácek oder Schostakowitsch. Das kann das sonst so profund spielende Orchester, das kann der Generalmusikdirektor nicht wirklich wollen.

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