"Ssss - aufgepasst, hier gibt es etwas zu sehen." Wie ein Flitzebogen gespannt ist das Publikum im Martinipark. Drei Jahre lang mussten die Augsburger Ballettfans pandemiebedingt auf eine Internationale Ballettgala verzichten, am Ostersonntag und Ostermontag war es endlich wieder soweit: Internationale Solisten zeigten im Staatstheater Augsburg in 18 Choreografien, wie vielseitig sich der Tanz heutzutage präsentiert. Und dazu gehörte eben auch "Sss...", ein Stück des rumänischen Choreografen Edward Clug, das in jenem Zwischenbereich der Dämmerung angesiedelt ist, in dem sich Licht und Dunkelheit die Waage halten und mit der Stille auch die Kontemplation Einzug hält. In minimalistischen Bewegungen zerlegt Adhonay Soares da Silva seinen Körper in Einzelteile. Nur ein Finger liegt da auf dem Boden, dann die Hand und schließlich gleitet der ganze Kerl hinab - geschmeidig und immer im Fluss der Musik von Chopins "Nocturne". Erste Bravorufe kommen aus dem Publikum, als sich der junge Solist des Stuttgarter Balletts verbeugt.
Ja, die Begeisterung ist groß, nicht nur im Zuschauerraum, auch auf der Bühne. "Endlich wieder eine Ballettgala", dieser Stoßseufzer kommt Ballettdirektor Ricardo Fernando über die Lippen, als er das Publikum begrüßt. Gäste aus sieben Kompanien und Ensembles hat er eingeladen, die klassisches Ballett ebenso wie zeitgenössischen Tanz zeigen. Darunter die vier Tänzerinnen des Pfalztheaters Kaiserslautern mit Alba Castillos moderner Choreografie "The Read Thread" ebenso wie die fünf Tänzer des Theaters Nordhausen, die kraftvoll-athletische "Poeten" in der gleichnamigen Choreografie von Ivan Alboresi verkörpern.
Klassisches Ballett zeigt das English National Ballet mit dem Pas de Deux "Flower Festival in Genzano"
Für das klassische Genre sind an diesem Abend Julia Conway und Daniel McCormick vom English National Ballet zuständig. Allerdings gibt es diesmal nicht die schon oft gesehenen "Dornröschen"- oder "Don Quichote"- Glanznummern, sondern zwei Pas de Deux, die seltener auf dem Programm stehen, aber nicht minder Virtuosenstücke sind. In Petipas "Diana und Acteon", noch präziser aber im bezaubernden "Flower Festival in Genzano" von August Bournonville führen sie die hohe Schule klassischer Figuren vor, virtuos getanzt in Sprüngen und Pirouetten, mit federleichter Grazie.

Spitzentanz in seiner neoklassischen Ausprägung, ist vom Hamburg Ballett zu sehen. Vollendet harmonieren Silvia Azzoni und Alexander Riabko zu Claude Debussys "Claire de Lune" (Choreografie: Kristina Paulin) und zur Musik von Maurice Ravel in Thiago Bordins "Narcisco". Auch Filipa de Castor und Carlos Pinillos vom Portugiesischen Nationalballett erfreuen das Publikum mit Eleganz und Leichtigkeit in zwei neoklassischen Choreografien.
Eindringlich und faszinierend ist die Körpersprache von Riva & Repele
Im Kontrast dazu steht das düster-schwere "Sinking", das Sasha Riva und Simone Repele zeigen. Nach vorne gebeugt, mit hängenden Armen schleppen sich die zwei Männer auf einander zu: Zwei vom Schicksal beladene Gestalten, erstarrt und steif in ihren Figuren treffen hier auf der Bühne zusammen, um sich gegenseitig aufzurichten, Halt zu geben. Hände greifen in- und übereinander, Körper bilden Formen und Figuren. Langsam und kontemplativ sind ihre Bewegungen, eindringlich und faszinierend ihre Körpersprache zum Singsang von Richard Gavin Bryars und Richard Rabbit Browns Musik.

2020 gründeten die beiden Tänzer und Choreografen, die sich in Hamburg in der Kompanie John Neumeiers kennenlernten, ihre eigene Kompanie Riva & Repele. In Augsburg zeigten sie neben ihrer Eigenkreation noch "Eyes Open/Shut Your Eyes", das Marco Goecke für sie schuf. Der Choreograf, der jüngst einer Kritikerin Hundekot ins Gesicht schmierte, ist in einigen Theatern mittlerweile mit einem Bann belegt worden. In der Gala war dieses "unentschuldbare Verhalten", wie es Ballettchef Ricardo Fernando gegenüber unserer Redaktion in einem Gespräch nannte, kein Thema. Vielmehr hatte das Publikum Gelegenheit, in einem weiteren Stück Goeckes charakteristischen Stil mit Trippelschritten und flatternden Armen zu erleben: "Le Spectre de la Rose", herrlich flirrend, berührend und mitreißend dargebracht von den beiden Augsburger Ensemblemitgliedern Cosmo Sancilio und Yeonjae Jeong.
Das Ballett Augsburg präsentiert sich als Talentschmiede
Das Ballett Augsburg präsentierte sich aber nicht nur mit weiteren Nummern aus dem Repertoire der laufenden Spielzeit wie "Tangata" (Choreografie: Ricardo Fernando) oder "A fresh Start" (Choreografie Iratxe Ansa & Igor Bacovich). Mit den Stücken "Draining" und "Embracing" der Kompaniemitglieder Nikolaos Doede und Giovanni Napoli empfiehlt sich Augsburg auch als Talentschmiede für Choreografen. Das Publikum jubelt wie eh und je bei Galas, und nicht wenige werden sich den 10. und 11. Februar 2024 im Kalender vormerken, wenn im Staatstheater Augsburg wieder die Ballettgala auf dem Programm steht.