Rockmusik ohne Russ Ballard wäre möglich, aber sinnlos. Klingt komisch, ist aber so. Es wird kaum einen Liebhaber der harten Töne geben, der nicht einen Song auf CD oder auf Schallplatte von Ballard in seiner Sammlung hat. Das muss nicht unbedingt ein Album von ihm selber sein. Der mittlerweile 79-Jährige hat für viele geschrieben. Nur mal ein kleiner Auszug: Uriah Heep, Santana, Rainbow, Roger Daltrey, Hot Chocolate oder Kiss. Dass der Engländer da auch ein erlesenes Programm für sich selber auf die Beine stellen kann, versteht sich von selbst. Und Russ Ballard im Spectrum ist für den echten Rocker eigentlich ein Pflichttermin.
Der Laden ist dann auch proppenvoll. Klar, die meisten der anwesenden Damen und Herren haben die 60 Jahre meist überschritten, aber Alter schützt vor Feiern nicht, und schließlich ist der Gastgeber, in diesem Fall Ballard, auch nicht mehr der Jüngste. Als der Chef, wie immer mit Sonnenbrille, als Letzter seiner Band auf die Bühne kommt, hat man nur den Eindruck: Mensch, der wird ja von Jahr zu Jahr schmächtiger. Viele 79-Jährige wird es in diesem Business auch nicht geben, die noch mit so viel Spaß und Enthusiasmus auf der Bühne stehen und wie Ballard über zwei Stunden ihr Programm durchzieht. Gegen Ende des Konzerts sitzt bei ihm zwar auch nicht mehr jeder Ton und man merkt, dass es für seine Stimmbänder eng wird, aber im Spectrum gibt es an diesem Abend keinem, der ihm das nicht verzeiht.
Band-Chef Ballard und seine coole Truppe
Um sich herum hat Ballard eine coole und altersgerechte Truppe geschart. Der Bassist P. J. Phillips bildet mit seiner wehenden weißen Mähne einen schönen Kontrast zum schwarzhaarigen Gitarristen Roly Jones, der auch schon in Michael Schenkers Band gespielt hat. Keyboarder Marc Rapson und Schlagzeuger John Miller komplettieren das Quintett. „It‘s only Money“, das Ballard 1973 geschrieben hat, ist der passende Einstieg. Der zweite Song, „New York Groove“, zählt dann zu den ersten Perlen. Ballard hat diesen Song einst für die damalige Teenie-Band Hello geschrieben. Die machten ihn auch zum Hit. Wurde dann immer wieder gern gecovert. Wer zuletzt bei Konzerten von The Sweet oder Kiss war, kann das bestätigen.
Die Palette, die Ballard an diesem Abend anbietet, ist ein Sammelsurium seiner besten Stücke. Wie zum Beispiel „Liar“ - der Song war 1970 die erste Single der amerikanischen Rockband Three Dog Night - oder „On the Rebound“, das Ballard für Uriah Heep schrieb. Spätestens bei „The Fire still burns“, etwa in der Mitte des Konzerts, wurde im Saal die letzte Luftgitarre ausgepackt, die man zwischendurch gegen das Handy austauschte um zu filmen. Es folgte ein wahrhaftes Stakkato. „Since you‘ve been gone“, eine der großen Rockhymnen, die Ballard einst für Rainbow auf Papier brachte, ließ das Spectrum beben. „Voices“, „Two Silhouettes“, „No more than fool“ - wer will da schon nach Hause.
Irgendwo gibt es immer einen Ballard-Song
Aber irgendwann ist immer Schluss. Mark Rapson hat schon das Handtuch umhängen und flüstert seinem Chef etwas ins Ohr. Anscheinend, dass es langsam Zeit ist aufzuhören. Doch einen noch lassen sich Ballard und seine Combo nicht nehmen. „God gave Rock and Roll to you“ - mit seinem Song für Kiss verabschiedet sich das Quintett. Was witzigist: Michael Voss, der mit seiner Stieftochter Van de Forst das Vorprogramm bestritt, sang auch einen Song, bei dem er mit Stolz verkündete, das Russ Ballard ihn für das Duo geschrieben hat. Sucht sonst noch jemand einen Song? Russ Ballard hat anscheinend Zeit dafür.
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