Jeden Mittwoch ab 16.30 Uhr findet in der Turnhalle der Freien Waldorfschule Augsburg eineinhalb Stunden Reitsport statt. Wer sich nun fragt, wie die Pferde in die Räumlichkeiten kommen: Es gibt keine. Zumindest keine echten. Die Rede ist von der Sportart Hobby Horsing. Angeboten wird das außergewöhnliche Training vom SV Hammerschmiede. Die Besonderheit: „Der Oberkörper ist der Reiter, der Unterkörper sozusagen das Pferd“, erklärt Trainerin Stefanie Striegl. Dabei wird ein spezielles Steckenpferd benutzt – das namensgebende Hobby Horse. „Die Füße machen immer etwas ganz anderes als der Oberkörper, das erfordert eine extreme Kopf-Körper-Koordination“, weiß Striegl.
Für Laien mag es auf den ersten Blick wie ein Spiel wirken, doch Kenner der Materie wissen, mit welchem sportlichen Anspruch die Hobby Horse-Community an die Mischung aus Reitsport, Gymnastik und Leichtathletik herangeht. In den letzten 20 Jahren hat sich daraus eine Sportart mit Wettbewerbscharakter entwickelt.

Seine Ursprünge hat der Sport in Finnland. Dank Social Media finden sich mittlerweile international immer mehr Anhänger. Auch die Mädchen, die mittwochs in Augsburg trainieren, haben die Sportart großenteils durch YouTube kennengelernt. Die Trainerin Stefanie Striegl wurde durch ihre mittlerweile 13-jährige Tochter Emma auf das Phänomen aufmerksam. So entstand im März 2022 die Hobby Horsing-Abteilung des SV Hammerschmiede. Die pferdeaffine Freizeit-Beschäftigung ist mittlerweile so beliebt, dass es eine Warteliste beim Sportverein Hammerschmiede gibt. „Es ist schön zu sehen was wir geschaffen haben“, findet Stefanie Striegl. „Wir sind zusammengewachsen, die Teilnehmerinnen treffen sich mittlerweile auch privat.“
In Deutschland gibt es mehr als 3000 Vereine
Hierzulande gibt es um die 8000 Hobby Horser und mehr als 300 Vereine. Im September 2023 wurde der offizielle Deutsche Hobby Horsing Verband gegründet. Im September 2024 fand die erste Deutsche Meisterschaft statt. „Man kennt sich untereinander, auch die Augsburger kennt man, weil wir bisher auf jedem Turnier erfolgreich waren“, berichtet die Trainerin stolz. Bei Turnieren gelten strenge Regeln. „Man muss die richtige Handhaltung am Zügel und am Stock haben und bei einem Bahnwechsel einen fliegenden Handwechsel machen“, erklärt Stefanie Striegl. „Auch ein kerzengerader Oberkörper, gestreckte Zehen und eine auf die Musik abgestimmte Choreografie sind wichtig.“

Neben der Dressur gibt es als weitere Disziplin das Stil- oder Zeitspringen. In der Turnhalle haben die Hobby Horsing-Fans des SV Hammerschmiede deshalb einen Parkour mit Hindernissen unterschiedlicher Schwierigkeitsgrade aufgebaut, die übersprungen werden müssen. Männliche Reiter sind in der 15-köpfigen Gruppe keine vertreten, sondern vor allem junge Mädchen aus der Stadt und dem Landkreis Augsburg und Aichach-Friedberg. Die jüngste Reiterin ist zehn Jahre alt, die älteste 29.
Die fürs Hobby Horsing zugelassenen Steckenpferde haben ein Mindestgewicht von 300 Gramm, keine Rollen und keine Griffe. Ein kurzer Stab von mindestens 25 Zentimeter Länge erlaubt die nötige Bewegungsfreiheit. Zudem ist der Kopf nicht aus einfachem Holz geschnitzt, sondern erinnert an einen dreidimensionalen Kuscheltierkopf, der mit Liebe zum Detail gestaltet wird. Auch das Zubehör wie Trensen, Halfter, Stricke und Zügel gestalten Hobby Horser gern selbst.

Neben Stefanie Striegl zählt Manuela Oostenryck zum Trainerstab der ersten Stunde. Neu dazugekommen ist Daniela Ruffing. „Ich komme vom Reitsport und bin da bei Fragen zu den Regeln, die sich beim Hobby Horsing stark anlehnen an die vom tatsächlichen Reitsport“, erklärt die 44-Jährige. Ihre Tochter Mia ist seit drei Jahren dabei. Auch sie kennt den Vergleich zum realen Pferdereiten. „Hobby Horsing ist sogar anstrengender als echtes Reiten, weil man selbst läuft und springt“, findet die 13-Jährige. Wie viele andere Hobby Horser bastelt sie gern selbst kreativ an ihren Sportgeräten. Auch Bilana Buß bastelt gern selbst Hobby Horses. „Ich kaufe Stoffe, nähe Augen und Ohren an und stopfe die Pferdekopfform mit Füllwatte“, plaudert die 13-Jährige aus dem Nähkästchen. Anja Martin beweist, dass man auch mit fast 30 Jahren noch Spaß am Hobby Horsing haben kann. „Ich bin die älteste hier“, sagt die 29-Jährige. Mit dem echten Reiten hat sie aus Zeitmangel aufgehört. Dann entdeckte sie das Hobby Horsing. „Ein Hobby Horse ist natürlich weniger pflegeaufwendig als ein echtes Pferd“, sagt sie augenzwinkernd. Es kostet auch deutlich weniger. Zwar gibt es auch sportliche Steckenpferde für 700 Euro, doch kann man auch für 70 Euro einmalig investieren, weiß die Trainer-Tochter Emma.
So gehen die Mädchen mit Vorurteilen um
Manchmal werden die Mädchen mit dem Vorurteil konfrontiert, dass Hobby Horsing nur ein Kinderspiel sei. Sie wissen, wie sie dies entkräften. „Ich mache eine Präsentation im Unterricht, um es zu erklären“, erzählt Mia. „Meine Freunde haben Hobby Horsing ausprobiert und waren überrascht, wie anstrengend es ist.“
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