Nein, ein Interview wolle er erst einmal nicht geben, bat Radprofi Marco Brenner um Verständnis. Er benötigt jetzt erst ein wenig Ruhe und Abstand. Verständlich. Denn für den 22-jährigen Augsburger war sein erster Giro d’Italia nicht im Rom und mit dem Segen des neu gewählten Papstes Leo XIV. zu Ende gegangen, sondern schon zwei Tage zuvor im Krankenhaus von Aosta.
Tudor-Fahrer stürzt in der Abfahrt vom Col Saint-Pantaleon
Dort, in den italienischen Alpen, an der Grenze zur Schweiz, war Brenner auf der 19. Etappe in der Abfahrt vom Col Saint-Pantaléon, dem dritten von fünf Bergen des Tages, gestürzt. Dabei hatte er sich die Schulter ausgekugelt und eine tiefe Schnittwunde am Oberschenkel zugezogen. Die Schulter war vor Ort noch vom Rennarzt wieder eingerenkt worden, doch der Cut war so tief, dass er im Krankenhaus operativ behandelt werden musste.
Marco Brenner war in der Fluchtgruppe unterwegs
Dabei hatte sich der amtierende deutsche Meister in der drittletzten Etappe angriffslustig gezeigt, war sogar in einer Fluchtgruppe unterwegs. Genauso hatte er sich die Schlusstage vorgestellt. „Jetzt geht es immer mehr in die Berge rein, da werden meine Chancen kommen“, war Brenner beim ersten Ruhetag, ungefähr zur Halbzeit des zweitwichtigsten Etappenrennens nach der Tour de France, im Interview mit unserer Redaktion sicher.
Bis dahin hatte sich beim Schweizer Rennstall die klare Renn-Hierarchie herausgebildet. Der 28-jährige Australier Michael Storer fuhr auf das Gesamtklassement, und der gleichaltrige Deutsche Florian Stork war die Nummer zwei im Kader. Brenner musste Helferdienste leisten, was für ihn auch kein Problem war. Denn für Brenner waren die Prioritäten klar: Helferdienste, Erfahrungen sammeln und erst dann eigene Akzente setzen.
Michael Storer fährt für Tudor beim Giro auf Platz zehn
Eine erfolgreiche Teamstrategie, wie sich nach 21 Etappen, 3400 Kilometern und 52.000 Höhenmetern zeigen sollte. Storer belegte für Tudor im Gesamtklassement Platz zehn mit 14:27 Minuten Rückstand auf den Sieger Simon Yates (Großbritannien/Team Visa). Der Gesamt-20. Stork war als Zweiter auf der 15. Etappe nur knapp am Sieg vorbeigefahren.
Und Brenner? Der machte seine Arbeit, holte Verpflegung, schloss Löcher, arbeitete für seinen Kapitän. Und warb hier und da in eigener Sache. Wie auf der 15. Etappe, wo er nicht nur Stork unterstützte, sondern sein weißes Meister-Trikot auch über 80 Kilometer in der Spitzengruppe präsentierte.
Marco Brenner stürzte schon bei der Faun Drome Classic
Und dann kam der Freitag. Brenner, mit seinen 22 Jahren der jüngste Fahrer im achtköpfigen Tudor-Aufgebot, attackierte auf der Königsetappe immer wieder, fuhr vorne mit. Doch dann kam er in der Abfahrt zu Fall. Es war nicht sein erster Sturz in dieser Saison. Anfang März erlitt er bei der Faun Drome Classic eine Verletzung des Innenbandes des Ellenbogens mit einem Knochenriss.
Für Brenner ist die zweite Saison bei Tudor pro cycling eine Berg- und Talfahrt. Der ehrgeizige Augsburger ist auf dem nicht immer einfachen Weg vom Radsporttalent zum gestandenen Radprofi. Er will sich selbst gut präsentieren, hat aber bislang nicht die Konstanz, um diese Ansprüche zu rechtfertigen. Bei den Fernfahrten der zweiten Kategorie hat er sein Potenzial gezeigt. Im Februar wurde er im Oman Gesamt-Neunter, beim Giro d’Abruzzo im April Gesamt-Sechster. Beim Einzelrennen Faun-Ardèche Classic fuhr er am 1. März sogar auf Platz zwei, einen Tag später war er in einen Massensturz verwickelt.
Tudor-Sportchef Matteo Tosatto ist zuversichtlich
Damals ging er nach nur etwas mehr als zwei Wochen schon wieder bei Milan-Torino an den Start und fuhr hinterher. Wie lange er jetzt pausieren muss, ist noch unklar. Tudor-Sportdirektor Matteo Tosatto ist zuversichtlich: „Glücklicherweise erlitt er keine ernsthaften Verletzungen. Ich hoffe, er sitzt bald wieder auf dem Rad.“
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