Rechtsextreme wollen nach Einschätzung des Verfassungsschutzes zunehmend in baden-württembergischen Kampfsportgruppen und auch mit eigenen Trainings Fuß fassen. Es sei ein Anstieg von entsprechenden Trainings in der rechtsextremistischen Szene im Südwesten zu beobachten, teilt der Verfassungsschutz in seinem jüngsten Bericht mit. "Wir haben das in den Blick genommen", sagt Verfassungsschutzpräsidentin Beate Bube. "Das war schon eine Besonderheit gegenüber den vergangenen Jahren."
Verfassungsschützer aus anderen Bundesländern warnen bereits seit längerem vor einer gefährlichen Mischung aus Kampfsportlern, Neonazis und Hooligans. Die extreme Rechte sei dort zunehmend professionell und auch international unterwegs.
Kampfsport für den politischen Gegner
"Man rüstet sich aus unterschiedlichen Gründen", sagt Bube. Zum einen wolle man den Männlichkeitsidealen der Szene entsprechen. "Zum anderen geht es auch darum, sich im Training körperlich zu wappnen wegen möglicher Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner." Laut Verfassungsschutz wird die Notwendigkeit von Kampfsport beispielsweise mit der angeblich ständigen Gefahr körperlicher Angriffe durch gewaltorientierte Linksextremisten und durch Menschen mit Migrationshintergrund begründet.
Der Soziologe und Extremismusforscher Robert Claus, der seit Jahren Gewalt und Rechtsextremismus im Sport untersucht, bezeichnet dies als "vermittelbare Gewaltkompetenz". Rechtsextreme nutzten Kampfsport, um sich zum Beispiel auf Straßenkämpfe vorzubereiten und ein gewalttätiges Männlichkeitsideal zu inszenieren. "Attraktiv sind für Rechtsextreme vor allem schädigungsorientierte Disziplinen", sagt er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Dazu zählten die aus verschiedenen Disziplinen bestehenden "Mixed Martial Arts" (MMA)" als Vollkontakt-Kampfsport, Kickboxen und Boxen.
Anhänger gewinnen und Geld verdienen
Der Sport hat aus Sicht der Experten auch eine identitätsstiftende Funktion. "Ähnlich wie Musikveranstaltungen sind gemeinsame Trainings oder größere Wettkämpfe ein Teil der rechtsextremistischen Erlebniskultur", erklärt das Landesamt für Verfassungsschutz in seinem jährlichen Bericht. Ziel sei es zu unterhalten, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und sowohl regional als auch überregional zu vernetzen. "Hinter der Begeisterung für Kampfsport steht eine Ideologie, die sich als Abgrenzung von einer angeblich völlig verweichlichten Gesellschaft des sogenannten BRD-Systems beschreiben lässt", heißt es weiter im Verfassungsschutzbericht.
Das Engagement im Kampfsport ist für die rechtsextreme Szene zudem mit finanziellen Interessen verbunden und dient als Rekrutierungsfeld, wie die Sicherheitsbehörde weiter zusammenfasst. "Als Anwerbeort dienen Kampfsportveranstaltungen und gemeinsame Trainings, beispielsweise in Fitnessstudios oder auf privaten und öffentlichen Grünflächen." Deshalb hat die extreme Rechte laut Claus "mit all ihren Parteien und Organisationen gezielt darin investiert, eigene Strukturen im Kampfsport aufzubauen".
Beispiele aus Baden-Württemberg
Mit entsprechenden Veranstaltungen und Aktionen fielen im vergangenen Jahr vor allem die neonazistische Kleinpartei "Der III. Weg" und die "Identitäre Bewegung" (IB) auf, wie Verfassungsschutz-Präsidentin Bube sagte. Laut Bericht für das Jahr 2023 bietet unter anderem der vor mehr als zwei Jahren gegründete "Stützpunkt Württemberg" des "III. Weges" seit Ende 2022 die "AG Körper und Geist" an, die sich auf Trainingseinheiten im Kampfsport spezialisiert habe. Diese sollten "zur Steigerung der Wehrhaftigkeit unserer Aktivisten beitragen", zitiert der Verfassungsschutz neben weiteren Beispielen in seinem Bericht. Diese Wehrhaftigkeit diene etwa dazu, sich "prügelnden Antifa-Chaoten" entgegenzustellen.
Bei der IB gehörte im Frühjahr 2023 unter anderem ein Boxtraining zum "Aktivistenwochenende" der damaligen Regionalgruppe "Wackre Schwaben". Laut Verfassungsschutz schrieben die Verantwortlichen anschließend auf Instagram: "Im Morgengrauen gab es einen intensiven Sportteil. Kraft- und Kampfsport standen dabei im Mittelpunkt."
Das ist im Südwesten bei weitem nicht alles, betont der Journalist Anton Maegerle. Er arbeitet seit den 1980er Jahren zum Thema Rechtsextremismus in Deutschland und hat der Dokumentationsstelle Rechtsextremismus in Karlsruhe rund 2500 Aktenordner mit Dokumenten sowie umfassende digitale Dateien geschenkt. Nach seinen Angaben wirbt auch die Gruppe "Pforzheim Revolte" als Ableger der "Identitären Bewegung (IB)" über den Kampfsport für sich, im Raum Rastatt und Baden-Baden bietet der vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestufte AfD-Nachwuchs "Junge Alternative" Trainings an.
Frauen im Kampfsport
Frauen finden sich nach Angaben von Extremismusforscher Claus zwar nur selten in der Szene. "Das heißt aber nicht, dass Frauen ungefährlich sind. Rechtsextreme Mütter halten ihre Kinder zum Beispiel sehr oft zum Kampfsport an", sagte er. Aus seiner Sicht mangelt es in Deutschland mit Blick auf die breite Landschaft des Kampfsportes sowohl an zivilgesellschaftlichen Initiativen als auch an langfristig staatlich geförderten und unterstützten Präventionsprogrammen.
(Von Martin Oversohl, dpa)