250 Schneekanonen – mitten im Landschaftsschutzgebiet
Die größte Beschneiungsanlage, die es im deutschen Alpenraum je gab, soll den Wintersport im Sudelfeld retten. Geplant sind 250 Schneekanonen – mitten im Landschaftsschutzgebiet.
Gerade hatte Peter Rosner die Spinatknödel noch gelobt und erklärt, wie wichtig die regionale Küche für einen sanften Tourismus sei. Doch schon bricht das Donnerwetter über ihn herein. Die Wirtin der „Waller Alm“ bekommt mit, dass der weißhaarige, sonnengebräunte Herr, der soeben gezahlt hat, dem Alpenverein angehört und sein Begleiter dem Bund Naturschutz.
„Das ist ja dreist!“ empört sich Ruth Waller. „Die blockieren unser Projekt und gehen dann hier auch noch zum Essen rein!“ Solche Gäste will die Wirtin nicht haben: „Verlassen Sie meinen Parkplatz!“, schimpft sie den Männern draußen vor der Tür noch hinterher.
Auf dem Sudelfeld kochen die Emotionen hoch in diesen Tagen. Unterhalb des Lokals schaufelt ein Bagger Erde für den Damm eines Speicherbeckens für eine riesige Kunstschneeanlage auf, Lastwagen fahren, Rohre werden verlegt. Es staubt auf der Weide, die den Winter über Skihang ist. Die Teerstraße zu den Berggasthöfen „Waller-Alm“ und „Speck-Alm“ ist mit einer Erdschicht bedeckt.
„Naturzerstörung aus Profitgier“, stand auf einem Transparent, das Umweltaktivisten vorige Woche entrollt hatten. Der Deutsche Alpenverein (DAV) und der Bund Naturschutz (BN ) klagen am Verwaltungsgericht München gegen die Baumaßnahme und werden dabei von fünf weiteren Umweltverbänden unterstützt. Die Entscheidung über einen Eilantrag, der einen Baustopp zur Folge haben könnte, wird in Kürze erwartet.
Das „Skiparadies Sudelfeld“ an der Grenze zwischen den Landkreisen Miesbach und Rosenheim soll modernisiert und – vor allem – mit einer großen Beschneiungsanlage aufgerüstet werden. Einer Beschneiungsanlage, die alle bisherigen Dimensionen im bayerischen Alpenraum übertrifft – und das in einem Landschaftsschutzgebiet. 250 neue Schneekanonen sind geplant, 17 Kilometer neue Leitungen im Erdreich und das neue Speicherbecken wird ein Fassungsvermögen von 155000 Kubikmetern haben.
Für die Umweltverbände ist eine „rote Linie“ überschritten. Das Sudelfeld stehe für den „Höhepunkt der Fehlentwicklung der letzten Jahrzehnte“, so der BN-Vorsitzende Hubert Weiger, ein Präzedenzfall für alle Skigebiete in Bayern. Im Genehmigungsbescheid werde nämlich der gesetzliche Biotopschutz und die gültige Landschaftsschutzverordnung mit dem Argument ausgehebelt, dass die beabsichtigte Kunstschneeerzeugung aus Gründen des „überwiegenden öffentlichen Interesses“ notwendig sei. Das ist der springende Punkt für den Klägeranwalt Ulrich Kaltenegger: „Diese Argumentation würde die Ausnahme vom Naturschutz zur Regel machen“ – nicht nur im Sudelfeld.
An der Baustelle in etwa 1200 Metern Höhe ist häufig ein Mann mit Baskenmütze und weißem Bart beim Fotografieren zu beobachten: Werner Fees, 79, der stellvertretende Vorsitzende der Bund-Naturschutz-Kreisgruppe Miesbach. Als Bergsteiger und Hochtourenführer ist er von Jugend an auch Mitglied im Alpenverein. „Es tut mir weh, was hier passiert“, sagt er bekümmert. Wenn der Baustopp nicht schnell komme, sei nicht mehr viel zu retten. Der Bagger arbeitet am Rande eines Geländeeinschnitts, der zum Speicherbecken ausgebaut werden soll – „mit einem Damm, der 40 Meter hoch sein wird“, erklärt Fees. Die Wiese, auf der jetzt noch gelbe und blaue Blumen blühen, werde unter Kies, Vlies und Noppenfolie verschwinden. „Bergwundklee, Berghahnenfuß, Kreuzblume, Frauenmantel, Frühlingsenzian, Blaugras...“ zählt Fees auf, eine Pflanzengesellschaft, die typisch sei für die selten gewordenen mageren Almweiden.
„Kanonenröhrl haben wir diesen Einschnitt genannt“, erzählt Peter Rosner, 65, am Rande der kleinen Schlucht, die zum Teich werden soll. Bis vor ein paar Jahren ist der Naturschutzreferent der Alpenvereinssektion Miesbach hier selbst noch Ski gefahren: „Das Kanonenröhrl war eine interessante Stelle.“ Er wisse sehr wohl, dass am Skifahren in diesem Gebiet das Herz der Bevölkerung hängt. Der Alpenverein habe ja auch nichts dagegen, sagt Rosner, einzelne kleine Bereiche zu beschneien, wie es jetzt schon am Sudelfeld der Fall ist.
Aber jetzt sei der Punkt erreicht, wo man sich dafür entscheiden müsse, die Fördermittel in die Entwicklung eines sanften Tourismus zu investieren, statt in einen Natur zerstörenden, Energie und Wasser verschwendenden Ausbau, der trotz der Schneekanonen keine Zukunft mehr habe. Deshalb die Klage, die erste überhaupt in der 145-jährigen Vereinsgeschichte. Auch intern wird sie heftig diskutiert. „Daran können Freundschaften zerbrechen“, räumt Rosner ein. Von einer Mitgliedererosion könne allerdings keine Rede sein. Die vier Sektionen im Umkreis mit mehr als 4000 Mitgliedern hätten gerade mal acht Austritte aus zwei Familien zu verzeichnen.
Der Alpenverein als der Naturnutzer schlechthin, der gerade jetzt für den Ausbau seiner Hütten viel kritisiert wird, hatte 2013 eine Studie zu den Auswirkungen des Klimawandels in Auftrag gegeben. Ergebnis: Innerhalb von 15 bis 25 Jahren werden trotz massiver technischer Beschneiung nur noch 50 bis 70 Prozent der Skigebiete in den bayerischen Alpen schneesicher sein. Innerhalb von 25 bis 65 Jahren sind dieser Prognose zufolge wahrscheinlich nur noch drei Skigebiete übrig: die am Fellhorn, am Nebelhorn und an der Zugspitze.
Harald Gmeiner, der Geschäftsführer des Tourismusverbandes Alpenregion Tegernsee Schliersee, lässt das nicht gelten. Er zitiert eine andere, auf die Region bezogene Untersuchung der Ludwig-Maximilians-Universität. Danach ist Skifahren auf dem Sudelfeld noch 25 bis 30 Jahre möglich. „In zwölf Jahren sind Bergbahnen abgeschrieben“, sagt er, die Investition lohne sich also auf jeden Fall. Außerdem werde der Speicherteich so naturnah angelegt, dass er auch im Sommer nutzbar sei und eher eine Aufwertung für die Landschaft bedeute.
Für Gmeiner geht es um alles oder nichts: „Wenn ein Baustopp kommt, wird dieses Skigebiet den Bach runtergehen.“ Die Sudelfeld Bergbahnen GmbH, die schon viel in das 25-Millionen-Euro-Projekt investiert habe, müsste Insolvenz anmelden, 50 Saisonarbeitskräfte würden ihre Jobs verlieren. Zudem wären ohne den Wintertourismus mindestens 100 Gastronomiebetriebe in ihrer Existenz bedroht.
Der Tourismuschef hat all diese Argumente bei einem Spontanbesuch in seinem Büro in Bayrischzell auswendig im Kopf. Neun Jahre arbeite man auf den Ausbau hin, der die Abwanderung in die Tiroler Skigebiete stoppen soll. Allein in der schneearmen Saison 2013/14 war ein Einbruch von 45 Prozent zu verkraften.
Politische Unterstützung für den Ausbau gab es stets von Jakob Kreidl (CSU), dem Skandal-Landrat, der nach der Geburtstagsfeier-Affäre zurücktreten musste. Die Genehmigung war eine seiner letzten Amtshandlungen: Nachfolger Wolfgang Rzehak von den Grünen hatte die Stichwahl schon gewonnen, da kehrte Kreidl nach wochenlanger Krankheit zurück an seinen Schreibtisch, um vor dem Amtswechsel am 1. Mai seine Unterschrift unter den Bescheid zu setzen – zur Freude der Skivereine und derer, die vom Tourismus leben. Unverständnis für die Klage äußerten auch die Bürgermeister des Landkreises Miesbach in einem offenen Brief: „Der Tourismus ist... der Hauptwirtschaftszweig und Existenzgrundlage vieler Betriebe“, heißt es darin. „Die Wertschöpfung aus dieser Infrastruktur ist von herausragender Bedeutung.“
Peter Rosner ist derselben Meinung. Nur glaubt er, dass der exzessive Sudelfeld-Ausbau dem Fremdenverkehr auf längere Sicht nichts nutzen wird. „In zehn Jahren werden uns andere, die sich auf sanften Tourismus konzentrieren, abgehängt haben.“
Die Diskussion ist geschlossen.