
Internationale Steuerbetrügerbande: Millionenbetrug mit der Umsatzsteuer

Augsburger Fahnder haben eine internationale Bande von Steuerbetrügern auffliegen lassen. Jetzt beginnt der zweite Prozess.
Es ist der 22. Dezember 2011, als in dem flämischen Künstlerdorf Deurle bei Oliver P. morgens das Telefon klingelt. Er schwebe in akuter Lebensgefahr, zwei Killer seien auf ihn angesetzt, erfährt der 42-Jährige. Der Anrufer, der ihn da aufgeregt warnt, ist Staatsanwalt im nahen Brüssel. Die Polizei wisse das, wie der Jurist weiter berichtet, aus einem gerade im Internet abgehörten Chat. Offensichtlich seien die Täter schon auf dem Weg zu ihm. Der Immobilienmakler sprintet sofort zu seinem Auto, fängt seine Lebensgefährtin ab, die gerade beim Einkauf ist, holt seine beiden Kinder aus der Schule. Für die Familie wird ein Flug nach Spanien gebucht. Am gleichen Tag verlassen die vier das Land, verschwinden von der Bildfläche.
Zwei Jahre später. Oliver P. sitzt in Augsburg in einem Straßencafé. Der 42-Jährige, der am Vormittag als Zeuge im Prozess vor dem Landgericht ausgesagt hat, gibt unserer Zeitung ein Interview. Wieder nach Belgien zurückgekehrt leben er und seine Familie, wie er erzählt, weiter mit der Angst. Die Organisation hat ihm über ihre Rädelsführer schriftlich gedroht. In Deurle wird das Haus der Familie von der Polizei ständig mit Kameras überwacht.
DVD mit Namen der Polizei übergeben
Seine Ermordung mache außerdem keinen Sinn mehr, hofft der Belgier. Längst hat er die DVD, auf der vier Gigabyte an Klarnamen, Rechnungen und Bankverbindungen gespeichert sind, der Polizei übergeben. „Meine Lebensversicherung“, scherzt der 42-Jährige. „Wenn das hier überstanden ist“, sagt Oliver P., will er für immer das Land verlassen.
Noch geht das nicht. Denn Oliver P. und einige seiner Landsleute müssen sich demnächst noch in Belgien vor Gericht verantworten. Die Polizei hat einen der mutmaßlichen Killer festnehmen können. „Sie hat die Waffe, mit der ich erschossen werden sollte.“
Deutschland als Eldorado für Umsatzsteuerbetrug
Für Staatsanwalt Marcus Paintinger ist der Belgier ein wichtiger Zeuge. Denn Oliver P. war lange Zeit Mitglied der internationalen Betrügerbande. Von Brüssel aus hat der gelernte Bankkaufmann, Deckname „Rolex“, seit 2008 mitgeholfen, wie er selbst sagt, den Steuerbetrug mit IT-Ware zu organisieren. Dem deutschen Fiskus sollen dadurch mindestens 120 Millionen Euro entgangen sein. Und Oliver P. weiß, warum sich die Täter ausgerechnet Deutschland als Tatort ausgesucht haben: „Es ist das letzte Eldorado für Betrügereien mit der Umsatzsteuer.“
Der Dreh funktioniert denkbar simpel: Eine Handelsgesellschaft, die bald wieder vom Markt verschwindet, kauft im Ausland beispielsweise 1000 Spielkonsolen ein, „vergisst“ aber beim Import die fällige Umsatzsteuer von 19 Prozent ans Finanzamt zu entrichten. In den jetzt angeklagten Fällen wurde die Ware dann häufig im Minutentakt von Zwischenhändlern weiterverkauft. Jeder dieser Händler reichte dann, was für sich gesehen völlig legal ist, bei seinem Finanzamt die Kaufrechnung ein, bekam die ausgewiesene Mehrwertsteuer rückerstattet.
Steuerbetrug zieht weite Kreise: 169 Tatverdächtige
Die Täter kannten keine Scham, verkauften ein und dieselbe Ware bis zu 24 Mal. Nur die beim Finanzamt eingereichten Belege waren jedes Mal neu. Allein 2009 hat das Finanzamt Augsburg-Land der in Königsbrunn ansässigen Firma „hardwarebrokers.de“ laut Anklage 7,4 Millionen Euro fälschlich erstattet. Arnd D., der von Königsbrunn und später von Mallorca aus die Geschäfte führte, ist vor der 10. Strafkammer einer der acht Angeklagten. Im Juni 2012 waren sie im Zuge einer europaweiten Razzia verhaftet worden.
Die Ermittlungen der Augsburger Staatsanwaltschaft gegen den Steuerbetrug ziehen immer größere Kreise. Inzwischen gibt es 169 Tatverdächtige. Am heutigen Montag beginnt vor einer anderen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht ein zweiter Betrugsprozess. Er könnte bis weit ins nächste Jahr dauern. Unter den neun Angeklagten sind ein Geschäftsmann aus Buchloe, ein Brite und ein Österreicher.
Auch bekannte Großhändler in Skandal verwickelt
In den Umsatzsteuerskandal in der IT-Branche scheinen auch bekannte Großhändler verwickelt zu sein. Im Prozess fielen öfters die Namen der holländischen Facet BV – Jahresumsatz eine halbe Milliarde Euro – sowie der insolventen Braunschweiger Devil AG. Ihr Einkaufsleiter sitzt in Augsburg mit auf der Anklagebank. Ein Schicksal, das dem Vorstandsvorsitzenden Axel Grotjahn noch drohen könnte. Die Augsburger Staatsanwaltschaft ermittelt noch.
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