Ist das noch Tierschutz?
Zerstörung, Brandanschläge, Rechtsbrüche: Radikale Tierrechtler schrecken manchmal auch vor Straftaten nicht zurück. Sie wollen auf das Leid von Lebewesen aufmerksam machen.
Nichtsahnend steigt der Jäger auf seinen Hochsitz. Die Standbeine sind manipuliert. Er stürzt in die Tiefe. Es ist Fiktion. Doch genau das könnte im schlimmsten Fall passieren, befürchtet die Polizei im niederbayerischen Plattling. Erst vor ein paar Tagen haben Unbekannte dort reihenweise Hochsitze zerstört. Dass weitere manipuliert sind, wollen die Beamten nicht ausschließen. Ihre Vermutung: Militante Tierschützer könnten hinter den Taten stecken.
Regelmäßig sind in der Kriminalstatistik Fälle verzeichnet, in denen Aktivisten im Zeichen des Tierwohls rücksichtslos handeln. Sie wollen auf das Leid der Tiere in Mastbetrieben und Legebatterien aufmerksam machen, bewerten die Jagd als Verbrechen an Wildtieren. Aber wann geht Tierschutz zu weit?
Gegen das Gesetz verstoßen meist radikale Tierrechtler
Die bayerische Polizei unterscheidet bei dieser Frage zwischen Tierschützern und radikalen Tierrechtlern. Gegen das Gesetz verstießen meist nur letztere, erklärt der Sprecher des Landeskriminalamts (LKA), Ludwig Waldinger. Die Tierrechtsbewegung fordert für Tiere die gleichen Rechte wie für Menschen. Diese Sichtweise verbietet es auch, jene als Nutz- oder Haustiere zu halten. Pro Jahr gehen Waldinger zufolge in Bayern zwischen einem und zwei Dutzend Anzeigen ein, in denen die Indizien für militante Tierrechts-Aktivisten als Täter sprechen. Die häufigsten Tatbestände: „Sachbeschädigungen, Hausfriedensbruch, Beleidigungen.“ Wann die Grenze zur Straftat überschritten ist? „Das muss der Staatsanwalt entscheiden.“
Meistens, sagt Waldinger, würden sich die Aktionen gegen Jäger oder Metzger richten. Er berichtet von Fällen, in denen blutrot hingeschmierte Farbe an der Hauswand einen Schlachter „Mörder“ nennt. Sind Jäger das Ziel, werden laut LKA meist Hochstände sabotiert – so wie jetzt in Niederbayern. Thomas Schreder, Pressesprecher beim Bayerischen Jagdverband, weiß, wie die Täter vorgehen. Verwüsten, umwerfen, anzünden, es sei immer dasselbe. „Am hinterfotzigsten“ aber findet Schreder Fälle, in denen Unbekannte die Sprossen eines Hochstands ansägen: „Das ist lebensgefährlich.“
Nicht alle Tierrechtler aber handeln aus blinder Wut: Immer wieder dringen Aktivisten in Ställe für Massentierhaltung ein und enthüllen die teils gesetzeswidrigen Zustände, die dort manchmal herrschen. Eine der bekanntesten Aufdecker-Gruppen ist der Augsburger Verein Soko Tierschutz. Die Aktivisten um Gründer Friedrich Mülln sind nach eigenen Angaben an 150 Tagen pro Jahr in halb Europa unterwegs, um die teils miserablen Zustände in der Massentierhaltung aufzudecken.
Die Soko Tierschutz hat ihr Ziel bereits erreicht
Sie filmen in Mastanlagen, installieren versteckte Kameras und recherchieren undercover direkt in den Betrieben. Im Frühjahr veröffentlichte das Team Aufnahmen aus dem Skandalbetrieb Bayern-Ei. Vor etwas mehr als einem Jahr lieferte die Soko Tierschutz schockierende Bilder aus einem Geflügelzuchtbetrieb im Kreis Dillingen: Schwer verletzte Tiere, die ihr eigenes Gewicht nicht halten konnten, ein Arbeiter, der Puten lebend in die Mülltonne warf.
Die Soko Tierschutz und das Dillinger Landratsamt zeigten den Betreiber an. Das Verfahren läuft. Ihr Ziel habe die Soko Tierschutz schon jetzt erreicht, sagt Mitglied Pawel Markowski gegenüber unserer Zeitung. „Die Zustände zu dokumentieren und die Verbraucher darüber zu informieren, ist unsere Aufgabe.“ Dass sie sich mit vielen Aktionen „in einer rechtlichen Grauzone befinden“, schreiben die Aktivisten auf ihrer Homepage. Verurteilt wurden sie noch nie. Immer sei das öffentliche Interesse an einer Aufklärung größer gewesen als die Vergehen seiner eigenen Leute, sagte Mülln jüngst in einer Dokumentation des Westdeutschen Rundfunks.
Matthias Nickolai, Sprecher der Augsburger Staatsanwaltschaft, nennt ein Beispiel: Begeht ein Tierrechtler für seine Recherchen einen vergleichsweise „kleinen“ Hausfriedensbruch und deckt dabei ein massives Vergehen gegen Tier- oder Umweltschutz auf, könne sich das positiv auf die Strafe auswirken, die er zu erwarten hat.
Die Soko Tierschutz ist hartnäckig, doch ihre Grenzen ziehen die Mitglieder nach eigenen Angaben scharf: „Wir distanzieren uns von Gewalt gegenüber Menschen und jeglicher Form von Sachbeschädigung“, sagt Aktivist Markowski.
Auch Nicole Brühl, Vorsitzende des Bayerischen Tierschutzbunds, lehnt „alles ab, wo Mensch und Tier zu Schaden kommen“. Aber sie gibt zu: „Man verzweifelt, wenn man dem Elend sehr, sehr lange zuschaut.“ Nicole Brühl verhehlt nicht, dass auch bei ihr einmal die Toleranzschwelle überschritten sein könnte. Sie denkt an einen warmen Sommertag, an ein heißes Auto, an ein Tier bei 60 Grad im Kofferraum: „Da schlage auch ich mal eine Fensterscheibe ein.“ "Kommentar
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