
Kultusministerium in Bayern pfuscht bei Schulsoftware

Plus Warum die Bayerische Staatsregierung fast ein Vierteljahrhundert und 272 Millionen Euro braucht, um eine Software für Schulen zu entwickeln.

Der Ärger, dass staatliche Projekte sich in die Länge ziehen und immer teurer werden, gehört für die Abgeordneten des Haushaltsausschusses im Landtag zum täglichen Geschäft. Ein Projekt des Kultusministeriums aber, das kommende Woche auf der Tagesordnung steht, sprengt Rekorde – im negativen Sinn: Die Entwicklung einer einheitlichen Software für die Schulverwaltung in Bayern wurde im Jahr 2004 gestartet, sollte ursprünglich rund elf Millionen Euro kosten und im Jahr 2009 abgeschlossen sein. Mittlerweile werden die Gesamtkosten mit 272 Millionen Euro beziffert und der Abschluss des Projekts wurde erneut verschoben – dieses Mal auf das Jahr 2028.
Abgeordnete kritisieren Kultusministerium für verpfuschtes Digitalisierungs-Projekt
Entsprechend wuchtig fällt mittlerweile die Kritik aus. „Sogar der Berliner Flughafen ist schneller realisiert worden“, schimpft die Abgeordnete Claudia Köhler (Grüne). Ihr Kollege Helmut Kaltenhauser (FDP) kritisiert: „Anfängerfehler im Projektmanagement, IT-Aktivitäten völlig unkoordiniert und planlos, keine Spur vom Digitalministerium: Das selbst ernannte Hightech-Land Bayern blamiert sich auf ganzer Linie.“ Und der schwäbische SPD-Abgeordnete Harald Güller fordert: „Der Grund für den Pfusch muss aufgeklärt werden. Die Misere muss ein Ende haben. Und Schüler und Lehrer in Bayern müssen endlich die gegebenen Möglichkeiten der IT nutzen können.“
Die Oppositionspolitiker stützen ihre Kritik auf eine Zusammenstellung des Bayerischen Obersten Rechnungshofs von Ende Mai dieses Jahres. In einer „beratenden Äußerung“ listet der ORH auf, woran es hakt. Er bemängelt nicht nur die lange Dauer und die Kostenexplosion bei dem Projekt, sondern auch, dass wichtige Ziele nicht erreicht worden seien: Die Daten für die Planung des nächsten Schuljahres stünden nicht rechtzeitig und vollständig zur Verfügung. Die Anforderungen für Notenverwaltung und Zeugniserstellung erfülle die Software „allenfalls teilweise“. Und auch sonst funktioniert das System, mit dem bis Ende des Jahres 2020 nur an 4500 der über 6100 Schulen in Bayern gearbeitet wurde, offenbar nur eingeschränkt. „Die Nutzer“, so stellt der ORH fest, „sahen auch Ende 2020 keine hinreichende Arbeitserleichterung“.
Ursache für Dauerproblem liegt im Projektmanagement des Kultusministeriums
Dabei könnte, wie die Grünen-Abgeordnete Köhler sagt, längst vieles besser laufen. Wären alle Schulen so digital vernetzt wie geplant, würden viele Lehrer zum Beispiel nicht erst in den großen Ferien erfahren, an welcher Schule sie im neuen Schuljahr arbeiten. Auch der Schulwechsel von Kindern, deren Eltern umziehen, könnte viel einfacher und unbürokratischer gestaltet werden. Schulleitungen, Verwaltungen und Lehrkörper könnten spürbar entlastet werden – „zum Wohl der Schülerinnen und Schüler“. Und gäbe es ein funktionierendes Notenprogramm, so Köhler, „wüssten wir auch rechtzeitig, wie viele Schüler im Herbst aufs Gymnasium gehen“.
Eine Ursache für das Dauerärgernis sind laut ORH Mängel im Projektmanagement. Es habe ein klarer Projektauftrag gefehlt, „in dem die Ziele eindeutig und messbar formuliert sind“. Und die Ziele, soweit sie eindeutig und messbar waren, seien „zu einem erheblichen Teil nicht erreicht“ worden. Die Gesamtprojektsteuerung sei unzureichend gewesen, ebenso die Ausstattung mit Personal. Häufige Personalwechsel im Projektteam hätten für Verzögerungen gesorgt. Obendrein habe das Kultusministerium über all die Jahre auf eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung verzichtet und einschlägige Vorschriften nicht beachtet.
Kommenden Donnerstag wird das Thema im Haushaltsausschuss als sogenannter „Altfall“ behandelt. Es steht nicht zum ersten Mal auf der Tagesordnung, hat durch die Sonderprüfung des ORH aber eine neue Brisanz erhalten. Auch der Vorsitzende des Ausschusses, der CSU-Abgeordnete Josef Zellmeier, räumt ein: „Dass das nicht gut gelaufen ist, das ist offensichtlich.“ Die Kostensteigerungen seien angesichts der rasanten Entwicklung der Digitalisierung in den vergangenen 16 Jahren vielleicht noch verständlich. Die lange Dauer des Projekts aber sei „schon extrem ärgerlich“.

Projekt der einheitlichen Schulsoftware wurde jahrelang aufgeschoben
Nicht zweifelsfrei zu klären ist offenbar, warum der Landtag dem Ministerium nicht schon viel früher auf die Finger geschaut hat. Zwischen der ersten Forderung an das Kultusministerium aus dem Jahr 2004, dem Landtag bis zum Jahr 2008 einen Bericht über das Projekt vorzulegen, und der Vorlage des ersten Berichts im Jahr 2018 klafft eine mysteriöse Lücke. Nach Aussage Zellmeiers, der den Vorsitz des Haushaltsausschusses im November 2018 übernahm, geht aus den Unterlagen zwar hervor, dass das Ministerium nach 2008 zweimal um Fristverlängerung gebeten habe. Eine weitere Bitte um Fristverlängerung habe es aber offenbar ebenso wenig gegeben wie eine Nachfrage des Haushaltsausschusses.
Seit Projektstart gab es fünf Kultusminister: Monika Hohlmeier, Siegfried Schneider, Ludwig Spaenle, Bernd Sibler (alle CSU) und seit November 2018 Michael Piazolo (Freie Wähler). Auch die Abgeordneten im Haushaltsausschuss wechselten mehrfach. Erst der ORH holte das Thema im Jahr 2017 wieder aus der Versenkung, unterrichtete 2018 das Kultusministerium und legte jetzt die „beratende Äußerung“ vor. Die wichtigste Neuigkeit: Die Kostenschätzung war im Kultusministerium noch einmal korrigiert worden – von knapp 28 Millionen im Jahr 2018 auf jetzt 272 Millionen Euro.
„Diese Kostenexplosion kann ich mir nur dadurch erklären, dass im Ministerium jetzt erstmals einer richtig hingeschaut hat“, vermutet die Grünen-Abgeordnete Köhler und gibt der „verkrusteten Ministerialverwaltung“ schlechte Noten: „Mathe 6, Informatik 6“.
Fraktionen fordern neuen Bericht des Kultusministeriums
Kultusminister Piazolo widerspricht. Er räumt zwar ein, dass über die Jahre „sicherlich die eine oder andere falsche Entscheidung gefällt“ worden sei. Die Zahlen allerdings seien nicht vergleichbar. Neben den Ausgaben für die Entwicklung des Projekts seien in die jüngste Schätzung alle Kosten eingerechnet worden, die über die Jahre angefallen sind und bis 2028 anfallen werden. 17 Millionen Euro jährliche Kosten für Betrieb und Support einer Software für ein hochdifferenziertes Schulwesen mit 6200 Schulen, 150.000 Lehrkräften und 1,65 Millionen Schüler sind seiner Ansicht nach vertretbar.
Grüne, SPD und FDP aber wollen dieses Mal nicht mehr locker lassen. Sie fordern, wie Köhler sagt, einen neuen Bericht des Ministeriums an, der in einer gemeinsamen Sondersitzung von Haushalts- und Bildungsausschuss behandelt werden soll. Ob die Regierungsparteien einer Sondersitzung zustimmen, steht noch nicht fest. Zellmeier zeigt sich zwar aufgeschlossen. Er müsse das aber, wie er sagt, erst mit seinen Kollegen in der CSU-Fraktion besprechen.
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Warum verwundert uns das nicht?
Haben wir etwa Besseres erwartet?
Es soll ja in großen Organisationen auch Leute geben - Entscheidungsträger - die nicht mal wissen, wie sie Ihren Rechner hochfahren sollen - man hat ja Sekretäre?
Ich denke immer noch an die Fotos, wo man den Lehrern - pressewirksam - ein Notebook überreicht hat.
Die sahen mir auf dem Foto so überrascht aus, wie: "Was soll ich jetzt damit machen?" :-)
Statt jahrzehntelang Lehrer auf Ihre Festanstellung zappeln zu lassen - hätte man IT-willige und fähige Pädagogen in diese Richtung fördern müssen - aber wer wollte das das eigentlich?
Die Digitalisierung wird vermutlich als Feind betrachtet. Die Chance für unsere Kinder und den Bürger, ist ja offensichtlich nicht so wichtig? Hauptsache Geld wird ausgegeben?
Es gibt viele Redaktionen für Lehrmittel, die längst Kompetenz in Lehrmedien haben.
Schon das SW-TV hat es mit den Telecolleg längst vorgemacht.
Da die Aufträge auf einige Konkurrenten verteilt - hätten wir für einen Bruchteil des Geldes, zumindest wunderbare Lehrmedien im Einsatz.
Und wo ist jetzt der Aufreger?
Überschlagen 1800€ “Lizenzkosten” für jeden Lehrer in Bayern seit 2004. Lächerlich!
Eine Arbeitsplatzlizenz für ein CAD Programm kostet ca. 6.000-10.000€ zzgl. Service und evtl. Updates. Auch die Creative Suite von Adobe kostet schon fast 60€ im Monat.
Das dieser Spaß 272 Mio verschlingt ist somit nicht das Problem. Auch 17 Mio Wartungskosten per Anno sind im Prinzip bei 150.000 Usern lächerlich - vielleicht sollte man sich eher fragen ob man das Budget deutlich aufstocken muß um auch ein Produkt zu bekommen, mit dem man arbeiten kann.
"Eine Arbeitsplatzlizenz für ein CAD Programm kostet ca. 6.000-10.000€ zzgl. Service und evtl. Updates."
Nö, kostet se ned. Autodesk ist nicht der Nabel der Welt.
@Robert: Natürlich nicht. Man hätte in diesem Fall auch auf ein schönes Linux-Derivat setzen können. Dafür hätte man natürlich wirklich jeden Lehrer umschulen müssen. Und natürlich damit sind wir nicht am Ende. Auch die Software der Backend-Verwaltung hätte man umstellen müssen. Weil die Linux-Client-Administration halt komplett anders läuft als die Windows-Client-Administration.
Mittlerweile zwar dank Samba4 besser geworden, aber garantiert noch nicht gleich.
Generell: Technisch alles gut machbar.
Warum Limux aber nicht funktioniert hat war tatsächlich die "Erziehung" der Anwender: "Limux ist doof weil ich nicht mehr einfach so Software wie Skype installieren darf".
Ja, natürlich soll der Endanwender nicht einfach beliebig Software installieren. Aber erkläre das mal einem Lehrer der fix mal "seine" Software nutzen will.
Es gibt gute und funktionierende Standard Software, die hervorragend bei Großkonzernen läuft. An manchen Schulen wurde das dann auch anstatt des lächerlichen Mebis verwendet.
Stattdessen setzt Bayern jetzt wieder einmal auf überteuerte nicht funktionierende Frickelsoftware aus dem Seppl Land.
Waren etwa die sieben Schwaben bei der Beschaffung beteiligt? Mebis 5.0 oder lieber gleich Seppl 2.1? :. D
Mebis ist ein LMS, kein Schulverwaltungssystem. Großer Unterschied.