
Das Frühchen vom Feld

Nach nur 26 Schwangerschaftswochen wurde die kleine Emelie aus Markt Rettenbach hinter einem Stadel geboren. Es ist ein kleines Wunder, dass das Kind überlebt hat. Von Karin Seibold
Krumbach Es gibt Tage im Leben, die vergisst man nie. Bei Wolfgang und Claudia Mayer war der 4. Mai so ein Tag. An normalen Tagen arbeitet Wolfgang Mayer am Bau, er ist Betonmisch-Meister. Manche würden sagen, er ist einer, den das Leben so leicht nicht erschüttern kann. Aber als er vom 4. Mai 2008 erzählt, "diesem Sonntag", da zeichnet eine kleine Träne eine feuchte Spur über sein Gesicht. Er hat keine Hand frei, um sie wegzuwischen. Denn in seinen Armen liegt Emelie, seine Tochter, die mehr als drei Monate zu früh auf die Welt gekommen ist, hinter einem Stadel bei Langenberg im Unterallgäu, irgendwo im Nirgendwo.
"Oh, da kommts Köpfle", das hat er seiner Frau noch zugerufen, an diesem Sonntag auf dem Feld hinter dem Stadel. "Dann fang¿s auf", hat sie zurückgerufen, hat gestöhnt vor Schmerzen. Also hat er das Kind genommen. Er hat es Claudia auf den Schoß gelegt und eine alte Decke, die sie noch im Auto hatten, drumrum gewickelt. Nicht einmal die Nabelschnur haben sie abtrennen können, weil sie kein Messer dabeihatten und keine Schere.
Eine Geburt ist immer dramatisch, wenn sie hinter einem Stadel passiert sowieso. Aber wenn Professor Martin Ries von der Memminger Kinderklinik von Emelies Geburt erzählt, rutscht ihm aus Versehen schon mal das Wort "Fehlgeburt" über die Lippen - weil es rein theoretisch kaum möglich ist, dass Emelie lebt. Es ist ein kleines Wunder, 44 Zentimeter klein und 2440 Gramm leicht, nach fast drei Monaten auf dieser Welt noch ein Stück kleiner und leichter als die meisten Neugeborenen. Der geplante Geburtstermin wäre auch erst nächste Woche gewesen, am 3. August.
Dass Emelie schon jetzt 84 Tage alt ist und mit ihrem Babygähnen abwechselnd Tränen und Freudesröte in die Gesichter von Papa Wolfgang und Mama Claudia treibt, ist "bestimmt ganz stark dem lieben Gott zu verdanken" - da sind sich alle Beteiligten einig. Aber weil der liebe Gott selbst hinter dem abgelegensten Stadel tatkräftige Helfer hat, gab es am Freitag eine Flasche Sekt in der BRK-Rettungsleitstelle Krumbach.
Sogar Bayerns Rotkreuz-Präsidentin Christa von Thurn und Taxis war angereist, um mit Eltern, Ersthelfern und Ärzten auf das Frühchen vom Feld anzustoßen. Um 19.45 Uhr war der Notruf von Wolfgang Mayer in der Krumbacher Rettungsleitstelle eingegangen, "die Fruchtblase ist geplatzt", Claudia lag da schon im Gras. "Ein leichtes Ziehen" hatte sie vorher gespürt, darum hatte sie ihren Mann gebeten, den Pickup anzuhalten und war ausgestiegen. Sieben Minuten nach dem Notruf ist das Kind da. Klein wie zwei Männerhände und totenstill: kein Schrei, kein Luftholen. Drei Minuten später kommt der Notarzt, da ist Emelies Haut "schon blauer als der Rettungskittel", die Babybeatmungsmaske bedeckt das kleine Gesicht komplett.
Zwei Rettungswagen, ein Hubschrauber, der Babynotrettungsdienst. Ein Dutzend Helfer hinter dem Stadel bei Langenberg. Und einer, dem es zu verdanken ist, dass der Himmel noch hell war an diesem Sonntagabend und die Straße trocken. Nur so konnte Notarzt Christoph Schuster den Stadel schnell erreichen. Und nur so kam es zu der Geburtsurkunde, auf der als Ortsangabe steht: "Flurnummer 693, Gemarkung Langenberg/Markt Rettenbach".
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