Ein neuer Wettlauf auf der Schiene zum Bodensee
Vor gut 150 Jahren haben sich Bayern und Baden-Württemberg einen "Wettlauf zum Bodensee geliefert": In Zeiten kleinstaatlichen Denkens ging es darum, ob die bayerische "Ludwig-Süd-Nord-Bahn" oder die "Südbahn" Stuttgart - Ulm - Friedrichshafen zuerst den See erreichen würde. Nun gibt es eine neue Konkurrenz - in der Frage des Bahnausbaus nach Lindau. Die Folgen für die Wirtschaftsräume München, Augsburg und Ulm dürften gravierend sein.
Ausgangspunkt ist ein Finanzierungsangebot der Schweiz, die 75 Millionen Franken (rund 50 Millionen Euro) für die Elektrifizierung der deutschen (!) Strecke von Geltendorf (westlich von München) bis Lindau bereit stellt. Der am 18. März von der Bundesversammlung beschlossene "Verpflichtungskredit" soll am 1. Juli Gesetzeskraft erhalten; er ist Teil eines Finanzpakets von fast einer Milliarde Franken, mit dem die Schweiz ihre Anbindung ans europäische Hochgeschwindigkeitsnetz verbessern will. Außerdem will die Schweiz damit alpenquerende Güterzüge in ihren gerade im Bau befindlichen neuen Gotthardtunnel (Neat) lenken.
Bayerns Verkehrsminister Otto Wiesheu (CSU) sieht nach diesem Angebot nun den Bund "in der Pflicht", seinerseits Geld für die Strecke München - Lindau bereit zu stellen - sie steht immerhin als "internationales Projekt" mit 180 Millionen Euro im Bundesverkehrswegeplan. Wiesheus Angebot: "Der Freistaat Bayern ist bereit, sich an diesem Projekt im Rahmen einer Vor- oder Mitfinanzierung zu beteiligen." Diese Erklärung bewertet sogar der Memminger SPD-Landtagsabgeordnete Herbert Müller, ein langjähriger Kämpfer für die Elektrifizierung, als "sensationell und gut".
Überdies hat im März auch der Bund ein seit Jahren hinausgeschobenes Wirtschaftlichkeitsgutachten für den Ausbau in Auftrag gegeben. Doch darin sollen - überraschend - "auch weitere Schienenkorridore zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz in die Bewertung einbezogen werden". Es soll sich um die von Baden-Württemberg seit langem forcierten Strecken Ulm - Friedrichshafen - Lindau und Stuttgart - Singen handeln.
Wiesheus Sprecher Reinhard Pfeiffer verweist darauf, dass das Schweizer Angebot "explizit nur für Lindau - Geltendorf zur Verfügung steht". Auch Müller hebt dies hervor und betont, dass mit einer Elektrifizierung bis Buchloe auch das Güterverkehrszentrum Augsburg an die Achse Richtung Schweiz/Italien angebunden werden könne. Mit dem Gutachten werde nun aber "Augsburg als wichtiger Verkehrsknoten in Frage gestellt zugunsten des Verkehrsknotens Ulm", klagt Müller in einem Schreiben an Bundesverkehrsminister Manfred Stolpe (SPD). "Wenn wir jetzt schlafen, werden andere abräumen", sagt der Memminger Politiker und fügt hinzu: "Diese Frage ist für die Region viel entscheidender als der Flughafen."
Der SPD-Politiker schließt nicht aus, dass die Halbierung des Regionalzug-Angebots zwischen Memmingen und Lindau im vorigen Dezember durchaus ins Stuttgarter Kalkül passt: Die Strecke verläuft zwar über württembergisches Terrain, doch "die Württemberger haben kein Interesse an Memmingen - Lindau, weil sie auf Ulm - Lindau setzen".
Dabei hatte Wiesheu, der etwa in Sachen ICE mit Stuttgart seit langem an einem Strang zieht, schon vor einem Jahr vor Bahn-Managern eine Idee vorgestellt, in der Augsburg und Ulm nicht konkurrieren würden: Ausbau und Elektrifizierung von Ulm bis Memmingen (50 Kilometer). Auch so bekäme Ulm den Anschluss zum Gotthard, und überdies würde die Wirtschaftlichkeit der Strecke Memmingen - Lindau erhöht. Nur die Vertreter der alten "Schwäb"schen Eise"bahn" (Stuttgart, Ulm und Biberach, Meckenbeuren, Durlesbach) dürften hier bremsen.
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