Ermittlungen: 92-Jährige aus dem Chiemgau soll Ex-KZ-Helferin sein
Mehr als 70 Jahre ist das Dritte Reich nun her. Die Helfer der nationalsozialistischen Diktatur sind zum Teil davongekommen. In München wird nun gegen eine 92-Jährige ermittelt.
Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt gegen eine 92 Jahre alte Frau aus dem Chiemgau als ehemalige Helferin im Konzentrationslager Stutthof. "Es geht um eine Tätigkeit im Bereich des KZs", sagte der Sprecher der Anklagebehörde, Florian Weinzierl, am Mittwoch. Es gehe um den Verdacht der Beihilfe zum Mord.
Der "Münchner Merkur" hatte zuerst über den Fall berichtet. Demnach soll die Frau Nachrichtenhelferin gewesen sein. Die gebürtige Danzigerin sei als Telefonistin in das bei Danzig liegende KZ abkommandiert worden. "Das war nicht freiwillig", zitiert der "Merkur" die Frau.
Keine Anhaltspunkte gegen die Frau
Weinzierl sagte, welche Aufgabe die Frau genau hatte, müsse noch ermittelt werden. "Wir müssen erst mal schauen, was die tatsächliche Tätigkeit war und wie sie ausgestaltet war", sagte Weinzierl.
Es gebe keinen Anhaltspunkt, dass die Frau unmittelbar an der Selektion von Gefangenen beteiligt gewesen sei. "Aber das hindert nicht die nähere Prüfung einer strafrechtlichen Relevanz." Die Frau blieb auf freiem Fuß. Es gebe derzeit keinen Haftgrund.
Die Ermittlungen seien in einem sehr frühen Stadium und würden voraussichtlich "nicht zeitnah" abgeschlossen. Er rechne aber damit, dass in drei bis vier Monaten eine neue Einschätzung möglich sei, sagte Weinzierl. "Dann kann man vielleicht eine Bewertung vornehmen." Im KZ Stutthof starben mehr als 60 000 Menschen.
Die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg hatte den Fall nach München abgegeben. "Aus unserer Sicht kann eine Beihilfestrafbarkeit auch für Angehörige des Verwaltungsapparates gegeben sein", sagte der stellvertretende Leiter Thomas Will. Verfahren gegen vier Frauen sowie vier Männer, die im KZ Stutthof beschäftigt waren, seien zuletzt an die zuständigen Anklagebehörden abgegeben worden.
Staatsanwaltschaftliche NS-Ermittlungen
Die Ludwigsburger Juristen, die Vorarbeit für staatsanwaltliche NS-Ermittlungen in ganz Deutschland leisten, hatten sich nach der Verurteilung des Ex-Wachmannes John Demjanjuk 2011 systematisch Verbrechen von Gehilfen in KZs und Vernichtungslagern vorgenommen. Das Landgericht München hatte Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 28 000 Menschen in Sobibor verurteilt, obwohl er nicht direkt an ihrer Tötung mitgewirkt hatte.
Das - wegen Demjanjuks Tod nie rechtskräftige - Urteil war als neue Wende in der Rechtsprechung gewertet worden. Es folgten Verfahren gegen andere Wachmänner, etwa den 95-jährigen Reinhold Hanning und den gleichaltrigen Oskar Gröning, dessen Verurteilung der BGH bereits bestätigt hat. "Es war ein ausschlaggebender Punkt für die Überprüfungen, und wir sind noch mittendrin", sagte Will.
Allein 2016 leitete Ludwigsburg rund 30 neue Vorermittlungsverfahren ein und gab sie überwiegend an die Staatsanwaltschaften ab. Seit dem Jahr 2000 gab es gut 380 Vorermittlungsverfahren. Viele der früheren Nazi-Helfer sind allerdings bereits tot - oder sind nicht verhandlungsfähig, wie eine ehemalige Funkerin aus Auschwitz. Sie war wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 260 000 Juden angeklagt. Doch sie war schon 2016 zu gebrechlich für einen Prozess. dpa/lby
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Da können sich die EX DDR Grenzer, die den Schießbefehl ausgeführt haben noch auf einiges gefasst machen.
Ja, es wurde millionenfaches Unrecht bis hin zum Mord geübt – unverfolgt und ungestraft und 70 Jahre nach Kriegsende fällt es dem Staat auf einmal ein, man könne ein paar wenige, die noch leben alibimäßig doch noch zur Verantwortung ziehen?
Ich empfinde dies als unrechtmäßiges Handeln des Staates. Er hat sein Recht auf Strafverfolgung verwirkt, wenn er diese über einen längeren Zeitraum hinweg als die ursprüngliche Verjährungsfrist galt nicht ausübt. Es ist ja nicht so, dass sich all die Leute, die jetzt vor Gericht gestellt werden einer Strafverfolgung entzogen hätten, womit eine Verjährungsfrist auch gehemmt worden wäre.
Es ist schlicht nichts geschehen über die Jahrzehnte hinweg. Nun will sich der Staat und die Gesellschaft zu Lasten einzeln Herausgegriffener exkulpieren, sich ein reines Gewissen verschaffen.
Dafür könnte ich noch Verständnis haben, wenn es Personen betrifft, die unmittelbar an Mordhandlungen beteiligt waren. Aber eine Telefonistin? Weil sie die ‚Mordmaschinerie‘ mit am Laufen hielt? Weil wenn sie dort nicht Dienst getan hätte, es den Nazischergen nicht möglich gewesen wäre, Juden zuvernichten? Und was ist mit den Lokführern, die die Züge in die KZs steuerten? Mit den Bahnbediensteten, die die Menschen in die Wagons pferchten? Mit den Polizisten, die die dem Tode geweihten Personen nachts aus den Betten holten um sie genau dieser Bestimmung zuzuführen? Den Amtspersonen, die die Anweisungen gaben? Was ist mit denen? Da hat man hat leider keine Register – also bleiben sie unbehelligt. Und was ist überhaupt mit der gesamten Bevölkerung, die hinter Hitler und dem Regime stand? Hielten die nicht die Mordmaschinerie mit am Laufen? Brachten sie diese mittels ihres Wahlverhaltens nicht gar erst in Schwung?
Diese Prozesse sind nur möglich, weil man den Tatbestand der Beihilfe zum Mord umdefiniert hat. Wer wäre nach der Wiedervereinigung Deutschlands auf die Idee gekommen, jeden Angehörigen der VA, der an der Grenze Dienst tat, der Beihilfe zu Mord anzuklagen, weil natürlich nur die Gesamtheit der Grenzbewachung das Erschießen von Flüchtigen ermöglichte?
Nein, das ist nun genau so schändlich, wie das, was man nach dem Krieg versäumte. Hätte man damals allerdings schon diese Auslegung der Beihilfe zum Mord für rechtmäßig erachtet und wäre konsequent dabei gewesen, hätte man das halbe Volk ins Gefängnis stecken müssen.
Da ich 1952 geboren bin, habe ich noch etwas mitbekommen, wie nach der Nazizeit in Deutschland alte Nazi-Kameraden erfolgreich die Strafverfolgung der Naziverbrecher verhindert haben.
Wenn Sie sich mal mit dem Leben von Fritz Bauer befassen, der lange als Generalstaatsanwalt in Hessen versucht hat, Nazi-Verbrecher vor Gericht zu bringen und ständig deswegen angefeindet wurde, kommen Sie vielleicht zu einem anderen Urteil.
Auch hier in Augsburg wurden Nazi-Mörder geschont. Zum Beispiel die Juristen, die Dietrich Bonhoeffer ermordet haben, beziehungsweise ermorden ließen: Walter Huppenkothen und Otto Thorbeck. https://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Thorbeck
In einem Schandurteil des Bundesgerichtshofs hieß es dann: „In einem Kampf um Sein oder Nichtsein sind bei allen Völkern von jeher strenge Gesetze zum Staatsschutz erlassen worden.“ Einem Richter könne „angesichts seiner Unterworfenheit unter die damaligen Gesetze“ kein Vorwurf daraus gemacht werden, wenn er „glaubte“, Widerstandskämpfer „zum Tode verurteilen zu müssen“.
Natürlich muss man bei einer 92-Jährigen prüfen, ob sie verhandlungs- und eventuell später haftfähig ist. Aber ermittelt werden muss! Aus gutem Grund gibt es im StGB keine Altersgrenze für die Strafverfolgung und verjährt Mord nicht.
Raimund Kamm
>> Natürlich muss man bei einer 92-Jährigen prüfen, ob sie verhandlungs- und eventuell später haftfähig ist. Aber ermittelt werden muss! Aus gutem Grund gibt es im StGB keine Altersgrenze für die Strafverfolgung und verjährt Mord nicht.<<
Genau darum ging es in meinem Beitrage nicht!
Es ging darum, dass die Rechtsprechung von vorgestern auf heute dazu übergegangen ist, die Tatbeteiligung anders zu sehen und zu bewerten.
Wenn man es bisher nicht geschafft hat, die Leute zu verurteilen, sollte man es nun wirklich mal sein lassen und keine 90 Jährigen nochmal vor Gericht schleppen.
Natürlich. Aber das kennen Sie die deutsche Gründlichkeit schlecht. Da wird noch ein großer Schauprozess draus gemacht.
Die Gründlichkeit gibts aber nur wenns den Oberen passt, siehe Mollat.
Auch das stimmt. Das nennt man dann ja wohl politische Prozesse, oder so ähnlich.