Etliche Bürgerbegehren bringen die Politik in Bedrängnis
Am 2. März sind Kommunalwahlen in Bayern. "Höchste Zeit für Augsburg", lästern Zyniker hinter vorgehaltener Hand. Denn derzeit lasse sich nicht mehr so genau erkennen, wer die drittgrößte bayerische Stadt überhaupt regiert.
Von Nicole Prestle, Augsburg
Am 2. März sind Kommunalwahlen in Bayern. "Höchste Zeit für Augsburg", lästern Zyniker hinter vorgehaltener Hand. Denn derzeit lasse sich nicht mehr so genau erkennen, wer die drittgrößte bayerische Stadt überhaupt regiert: der Regenbogen - das Mehrheitsbündnis aus SPD, Grüne, ÖDP und einem Stadtrat der Freien Bürger Union - oder ein Häuflein aktiver Bürger, das die politischen Entscheidungen blockiert.
Was derzeit in Augsburg geschieht, ist selbst Susanne Wenisch vom Verein "Mehr Demokratie" noch nicht untergekommen: Allein im letzten halben Jahr gab es in der 270.000-Einwohner-Stadt fünf Bürgerbegehren. Bundesweit nimmt Augsburg damit einen dritten Platz hinter München und Erlangen ein - eine zweifelhafte Ehre. Im Umland der schwäbischen Regierungshauptstadt amüsiert man sich über das "neue Hobby" der Nachbarn. Zu seinen bekannten Titeln Fugger- und Brechtstadt habe Augsburg einen neuen hinzugewonnen - "Stadt der Bürgerbegehren".
Kurios ist dabei zweierlei: Immer wieder sind es Stadträte, die Bürgerbegehren anzetteln oder unterstützen, obwohl es zuvor Mehrheitsbeschlüsse im Stadtrat gab. Und ein neues Begehren will jetzt gar das Ergebnis eines Bürgerentscheids vom November aushebeln.
An letzterem Beispiel lässt sich die prekäre Situation Augsburgs besonders gut erläutern. Thema der beiden Abstimmungen ist das wichtigste Verkehrsprojekt der kommenden Jahrzehnte: der Umbau des Hauptbahnhofs und des ÖPNV-Knotenpunkts Königsplatz. Die Pläne lagen fertig in der Schublade, Bund und Freistaat hatten Millionen-Zuschüsse zugesagt.
Doch beim Bürgerentscheid im November sprach sich die Mehrheit der Wähler gegen eine schnelle Realisierung aus. Es war aber in diesem Fall nicht automatisch die Mehrheit der Augsburger: Zur Abstimmung gingen gerade mal 24,2 Prozent aller Wahlberechtigten, die Entscheidung fiel mit 53,2 Prozent zudem äußerst knapp aus.
Das ist vielleicht das größte Manko des demokratischen Instruments Bürgerbegehren: "Hier bestimmen besonders motivierte Minderheiten über Mehrheiten, denen das Thema mehr oder weniger egal ist", sagt der Augsburger Politikwissenschaftler Rainer-Olaf Schultze. Die Stadtregierung ist seither in der Zwickmühle: Die ursprünglichen Pläne umsetzen kann und darf sie nicht, eine neue Planung kostet Zeit, was wiederum Zuschüsse gefährdet.
Über Parteigrenzen hinweg werden seit Wochen Lösungen gesucht. Selbst die Stadträte, die das Bürgerbegehren anregten, wollen nun alles nicht so gewollt haben. Während die Politiker nachdenken, versucht eine Handvoll engagierter Bürger seit letzter Woche, das Ruder herumzureißen. Sie streben einen zweiten Bürgerentscheid an, der das Ergebnis des ersten kippen soll.
Juristisch ist das zulässig. Es lässt aber tiefe Rückschlüsse zu: Die Bürger trauen den Politikern nicht mehr zu, die Sache in den Griff zu kriegen. Rückenwind bekommen sie ausgerechnet von jenen, deren Kompetenz sie anzweifeln: "Im Wahlkampf nutzen viele Politiker ein Bürgerbegehren, um auf sich aufmerksam zu machen", sagt Susanne Wenisch.
Ob, wie und wann Hauptbahnhof und Königsplatz nun umgebaut werden, kann derzeit niemand sagen. Und selbst wenn die Wahl am 2. März neue Mehrheitsverhältnisse bringt, ist das aktuelle Problem nicht gelöst. Eine neue Stadtregierung könnte aber dazu beitragen, die Flut der Bürgerbegehren einzudämmen. Politikwissenschaftler Schultze: "Wenn die Mehrheitsverhältnisse eindeutiger sind, geschieht es in der Regel auch seltener, dass der Bürger sich aktiv einmischt."
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