Faszination "Lost Places": Warum Menschen nach verlassenen Orten suchen
Überall in Bayern gibt es "Lost Places", zerfallene und verlassene Orte. Und es gibt die, die nach ihnen suchen und für beeindruckende Bilder Risiken eingehen.
Scheiben sind eingeschlagen, Putz bröckelt von den Wänden, Möbel, auf denen noch das eine oder andere Familienbild steht, modern vor sich hin. Scherben, Staub und Dreck bedecken den Boden. Was für die meisten Menschen wie ein heruntergekommenes Haus voller Müll aussieht, ist für Yvonne ein Schatz. Gezielt sucht sie nach solch verlassenen Orten, die seit Jahren vergessen und sich selbst überlassen sind - nach sogenannten "Lost Places".
Ein Hobby in der legalen Grauzone
Yvonne gehört zur Szene der sogenannten "Urbexer", das steht für Urban Exploring und bedeutet so viel wie Stadterkundung. Ein Hobby, das in den vergangenen Jahren vor allem bei Freizeit-Fotografen immer beliebter geworden ist. Sie fasziniert es, verlorene und vergessene Welten zu betreten. Deshalb suchen sie nach verlassenen Villen, Militäranlagen oder Fabriken und fotografieren, was andere vor langer Zeit zurückgelassen haben.
Doch es geht nicht um die Bilder allein: "Es ist einfach toll, dort zu sein. Sich vorzustellen, wer früher mal in diesen Villen gelebt hat oder wie in einer Fabrik gearbeitet wurde", erklärt Yvonne ihre Faszination. Die 23-Jährige stammt aus dem Landkreis Augsburg und ist vor allem in Bayern unterwegs. Aber "Lost Places" findet sie überall, von einem Augsburger Bunker bis zu einer verlassenen US-Airbase in Griechenland.
Urban Exploring ist ein ungewöhnliches und vor allem risikoreiches Hobby in der legalen Grauzone. Streng genommen betreiben Urbexer Hausfriedensbruch, indem sie die verlassenen Gebäude betreten. Deshalb möchte Yvonne anonym bleiben und ihren vollen Namen und Wohnort nicht in diesem Text lesen. Als Beamtin kann sie sich Probleme mit dem Gesetz nicht leisten und doch hindert sie das nicht daran, ihr Hobby jedes Wochenende auszuüben: "Das Risiko gehört dazu. Und auch das Adrenalin", sagt sie. "Wenn du in einem Raum mit alten Seziertischen stehst und auf einmal Geräusche hörst, dann fragst du dich schon, ob die Polizei oder Eigentümer auftauchen. Das ist gruselig."
Wie findet man Lost Places?
Yvonne betreibt das ungewöhnliche Hobby bereits seit zehn Jahren. Angefangen hat sie mit Lost-Place-Caching, ähnlich wie beim Geocaching sucht man mittels GPS nach einem vorher versteckten "Schatz". Dieser ist meist von geringem Wert und in einem Behälter versteckt, einem Cache. Als Beweis, dass man den Cache wirklich gefunden hat, trägt man seinen Namen in ein Logbuch im Cache ein. Die Orte jedoch, an denen die Caches versteckt waren, haben Yvonne schnell mehr fasziniert als die Caches selbst.
Mittlerweile hat sie schon fast 100 "Lost Places" mit der Kamera festgehalten. Dafür musste sie viel Zeit investieren. Denn eine strenge Regel in der Szene besagt: Genaue Koordinaten werden nicht verraten. Um die "Lost Places" zu finden, betreibt Yvonne teilweise wochenlange Recherche: Das wohl wichtigste Werkzeug dafür ist Google Earth. Damit sucht sie nach Auffälligkeiten, wie einem eingefallenen Dach oder zurückgelassenen Fahrzeugen. Auch kommuniziert sie viel mit anderen Urbexern, die Tipps geben, und auch Gespräche mit Dorfbewohnern sind wichtig: "Oft fährt man einfach wohin und fragt die Bewohner vor Ort. Wenn es einen Lost Place in der Nähe gibt, dann gibt es auch immer Gerüchte und Geschichten dazu. Und dann geht man los und sucht."
Findet Yvonne einen verlassenen Ort, ist Vorsicht gefragt. Wohnt noch jemand dort? Gibt es Kameras, die das Gelände bewachen oder Wildtierkameras, die einen beim Betreten zufällig erwischen könnten? Hin und wieder werden Militäranlagen auch noch bewacht. Dann heißt es schnell, unauffällig und leise sein.
Einen Weg in die Gebäude findet Yvonne fast immer. "Oft fehlen Türen und Fenster und man kann einfach reingehen. Ab und zu kommt man um etwas Klettern oder Kriechen nicht herum. Selbst zerstören wir nichts. Wenn es keinen Weg nach drinnen gibt, dann bleiben wir draußen." Wie viel Zeit sie an einem "Lost Place" verbringt, ist unterschiedlich. An manchen Tagen sind es nur zwei Stunden in einer kleinen Villa, an anderen kommt sie mehrere Tage in Folge auf die gleiche riesige Militärbasis zurück.
Social Media unterstützt den Trend
Beim Fotografieren bleibt es für die meisten Urbexer nicht. Über Facebook und Instagram verbreiten sie ihre Bilder, teilen Erfahrungen und geben auch mal Tipps zum Finden von Lost Places. Erst durch die Sozialen Netzwerke ist das Hobby in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden. Auch Yvonne betreut seit einigen Jahren die Facebook-Seite "Lost Places Bayern", hier hat sie mittlerweile über 7000 Follower.
Auch wenn sie sich über die große Begeisterung anderer für "Lost Places" freut, sieht sie Nachteile: "Mittlerweile trifft man zu 50 Prozent Leute beim Urbexing. Zumindest bei bekannteren Lost Places. Das Problem ist, dass man nie weiß, was die Leute dort machen, vielleicht nehmen sie Sachen mit oder sprayen Graffiti", sagt sie. Mit Randalieren habe Urban Exploring nichts zu tun, ganz gemäß dem Ehrenkodex "Nimm nichts mit außer Eindrücke, Erinnerungen und deine Bilder. Hinterlasse nichts außer Fußspuren" schätzten Urbexer Orte, die so originalgetrau wie möglich sind. Eine Kaffeetasse, ein vergilbtes Familienbild, ein Notizblock. "Vor allem solche Kleinigkeiten sind wichtig", erklärt Yvonne. "Denn das sind die Dinge, die etwas über die vorherigen Bewohner erzählen. Und genau darauf kommt es uns an."
Die Diskussion ist geschlossen.
"ähnlich wie beim Geocaching sucht man mittels GPS nach einem vorher versteckten "Schatz". Dieser ist meist von geringem Wert und in einem Behälter versteckt, einem Cache. Der Finder des Caches darf den Schatz mitnehmen und ihn durch einen neuen ersetzen."
"Der Finder des Caches darf den Schatz mitnehmen"
Bitte diesen Satz streichen. Der Cache darf nicht mitgenommen werden. Sonst hat der nächste nichts mehr zum suchen.