"Ich hatte Todesangst" - Emotionen im Prozess um Rosenheimer Polizeieinsatz
Diese Woche wird der Prozess um einen rabiaten Polizeieinsatz vor dem Rosenheimer Amtsgericht fortgesetzt. Die Verteidigung wirft der Staatsanwaltschaft Parteinahme vor.
Polizisten überall - beim Betreten des Gerichtsgebäudes herrschen strengste Sicherheitskontrollen. Das Amtsgericht Rosenheim gleicht in diesen Wochen einer Festung. Im Sitzungssaal kochen nun schon seit vier Verhandlungstagen die Emotionen von Staatsanwälten und Verteidigern. Zu klären gilt, wie ein Polizeieinsatz vor eineinhalb Jahren in Schechen bei Rosenheim derart aus dem Ruder laufen konnte, dass am Ende drei Menschen tagelang im Krankenhaus lagen.
Die Emotionen kochen auf beiden Seiten hoch. Das Verfahren ist hochpolitisch: Das Gericht muss letztlich die schwierige Frage beantworten, wie weit Polizisten in Ausübung ihres Dienstes gehen dürfen. Der Fall beschäftigt längst auch den Bayerischen Landtag.
Erst brutal misshandelt - jetzt auf der Anklagebank
Auf der Anklagebank sitzt eine vierköpfige Familie, von Staatsanwälten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor Gericht gebracht. Das Pikante: Das 67 Jahre alte Familienoberhaupt war früher selbst Polizist. Aktiv im Dienst stehende Beamte schlugen also einen Ex-Kollegen von derselben Polizeiinspektion zusammen, glaubt man dessen Aussage. Auch seine Ehefrau (62), Tochter und Schwiegersohn (beide 36) wurden nach ihren Schilderungen brutal misshandelt. "Ich hatte Todesangst", sagte der Rentner im Prozess unter Tränen aus, "jetzt ist es vorbei, jetzt ist es zu Ende."
Dabei hatte die Familie mit dem spektakulären Einsatz in dem Wohnhaus zunächst gar nichts zu tun. Beamte der Rosenheimer Polizei sollten am 15. November 2010 einen Mann zu einer psychiatrischen Untersuchung zwangsvorführen. Doch der Gesuchte war längst ausgezogen, sein Name stand nicht mehr auf dem Klingelschild. Dennoch befragten die Zivilbeamten Bewohner nach seinem Verbleib.
Ohne Durchsuchungsbeschluss aus Wohnung gezerrt
Als die 36-Jährige den Polizisten klarzumachen versuchte, dass niemand im Haus über den Verbleib des Gesuchten Bescheid wisse, eskalierte der Einsatz. Es soll ein Scharmützel um Dienst- und Personalausweise begonnen haben. Ein 31 Jahre alter Beamter nannte das Verhalten der Frau bei seiner Vernehmung vor gut einer Woche "unfreundlich". Die Situation sei ihm verdächtig erschienen. Er habe vermutet, dass sich der Gesuchte in der Wohnung der 36-Jährigen befindet und stellte einen Fuß in die Tür. Ohne einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss vorweisen zu können zerrte der Mann die Frau aus dem Türstock in den Hausgang, wo eine inzwischen zur Verstärkung herbeigerufene Streife schon Position bezogen hatte.
"Dann waren die Kollegen schwer mit ihr beschäftigt", schilderte der Zeuge im Prozess das weitere Geschehen. Diese Beschäftigung - später kamen die drei anderen Familienmitglieder hinzu - endete für Vater, Mutter und Tochter in der Klinik. Nur der 36-jährige Schwiegersohn blieb halbwegs verschont. Gegen die zehn eingesetzten Polizisten wurde zwar kurz ermittelt, die Staatsanwaltschaft stellte die Verfahren aber vorläufig ein und klagte stattdessen die Familie an.
Verteidigung wirft Staatsanwaltschaft Parteinahme vor
Für den Münchner Strafverteidiger Hartmut Wächtler hätte es gar nicht zu dem Prozess kommen dürfen. Der Anwalt spricht von "irreparablen Verfahrensfehlern" und wirft der eigentlich zur Objektivität verpflichteten Staatsanwaltschaft Parteinahme vor. "Sie verteidigt die Polizisten auf Biegen und Brechen", sagt der Anwalt. Sein Antrag auf Einstellung des Verfahrens wurde vom Gericht kassiert.
Im Prozess herrscht seit Beginn Mitte Februar eine angespannte Atmosphäre. Ganz wesentlich trägt dazu der Antrag der Staatsanwälte auf psychiatrische Begutachtung der 36-Jährigen bei. Sie wollten damit deren Aussage offenkundig erschüttern. Die Mutter eines kleinen Sohnes hatte von Tritten in den Unterleib berichtet. In den Polizeiakten steht davon nichts. Anklagevertreter und Verteidiger fallen sich in der Verhandlung ständig ins Wort, die Staatsanwälte wollen immer wieder Fragen an die Zeugen als nicht zulässig vom Richter ablehnen lassen.
Der Richter hat alle Mühe, die Rauflust der Streithähne zu zähmen. Als am vierten Verhandlungstag auch noch Zuhörer ihrem Unmut mit Zwischenrufen Luft machten, drohte er, den Saal räumen zu lassen. Der Prozess geht mit der Vernehmung eines weiteren Polizeibeamten an diesem Freitag (11. Mai) weiter. dpa/lby/AZ
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