Immer mehr Kinder müssen in psychiatrische Behandlung
Immer mehr junge Menschen müssen in der Region psychiatrisch behandelt werden. Aber die Betten fehlen.
Beunruhigende Zahlen nannte die Chefärztin der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Augsburger Josefinums, Prof. Michele Noterdaeme, bei einem gesundheitspolitischen Kongress der bayerischen Bezirke im Kloster Irsee: In den vergangenen fünf Jahren mussten in Schwaben immer mehr junge Menschen wegen psychischer Probleme stationär, tagesklinisch oder ambulant versorgt werden. „Momentan behandeln wir an unseren drei Standorten pro Jahr 1000 Kinder und Jugendliche stationär.“ Die durchschnittliche Verweildauer beträgt dabei 39 Tage.
Vor gut fünf Jahren waren es noch 800 Kinder gewesen. Ähnlich eklatant ist die Steigerung im ambulanten und tagesklinischen Bereich (das heißt, dass die Patienten tagsüber im Josefinum, nachts aber daheim schlafen): Wurden vor einem halben Jahrzehnt noch rund 7500 Fälle behandelt, so sind es nun gut 10000.
Schwaben ist besser versorgt als Oberbayern
Bei dem Kongress hatte Professorin Renate Schepker dem Freistaat zudem sehr schlechte Noten in der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung erteilt. „Bayern ist das Schlusslicht in Deutschland“, so die Leiterin der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie Weissenau in Ravensburg. Hier gebe es – in diesem Segment – statistisch die wenigsten Betten. Zwar geht es Schwaben im bayerischen Vergleich gar nicht so schlecht, ergänzte die Augsburgerin Noterdaeme. „Immerhin sind wir der zweitbest versorgte Bezirk in Bayern, wir stehen besser da als Oberbayern.“ Aber nichtsdestotrotz wären – gerade angesichts der steigenden Zahlen – mehr Krisenbetten im Jugendbereich sinnvoll. Denn bislang versucht das Josefinum das Mehr an jungen Patienten mit einer Verkürzung der Behandlung zu kompensieren. Aber das lasse sich nicht endlos ausdehnen.
Die Gründe für das Ansteigen der Patientenzahlen sind vielschichtig: Auf der einen Seite können zerfallende Familienstrukturen als Ursache ausgemacht werden. „Es gibt immer mehr Patchworkfamilien. Diese können teils für Kinder schwierige Konstellationen aufweisen“, so Noterdaeme.
Faktoren, die psychiatrische Erkrankungen begünstigen, sind zudem beispielsweise Armut, Gewalt und Traumatisierungen, der wachsende Leistungsanspruch der Gesellschaft an Kinder und Jugendliche sowie eine sinkende Toleranz gegenüber Menschen, die „nicht normal sind“. So werde etwa motorische Unruhe in vielen Schulen heute nicht geduldet.
Eltern sind heute eher bereit, Hilfe für ihre Kinder anzunehmen
Noterdaeme betont aber auch, dass heute bei den Eltern eher die Bereitschaft bestehe, ein psychiatrisches Hilfsangebot für ihren Nachwuchs überhaupt anzunehmen. Das helfe den Kindern, führe aber natürlich auch zu höheren Fallzahlen. Und nicht zuletzt: Es gebe immer mehr Einrichtungen der Jugendhilfe. Und das erhöhe wiederum die Nachfrage nach fachlicher Versorgung bei Problemen. „Das Angebot generiert also die Nachfrage“, bringt es die Psychiaterin auf den Punkt.
Sie wünscht sich neben einer gewissen Aufstockung ihres Bettenkontingents in Schwaben vor allem eine bessere Vernetzung der kinder- und jugendpsychiatrisch Tätigen mit den Akteuren der Jugendhilfe sowie mit den Schulen. „Das würde ich gern in Schwaben ausbauen.“
Noterdaeme geht es dabei um ein Frühwarnsystem: Denn je früher die Probleme eines jungen Patienten erkannt werden, desto besser kann geholfen werden. „Man sollte nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist.“
An dem gesundheitspolitischen Kongress nahmen rund 75 Experten verschiedener Berufsgruppen aus dem ganzen Bundesgebiet teil. Die meisten Teilnehmer kamen aber aus Bayern.
Die Diskussion ist geschlossen.