Hitzige Debatte ums Hochwasser: Kommen bald Flutpolder nach Dillingen?
Zwei geplante Flutpolder in Dillingen und Steinheim sollen im Ernstfall Leben retten. Doch ein Termin mit der Umweltministerin und 600 Menschen zeigt: So einfach ist das nicht.
Hermann Kästle ist wütend, doch das sieht man ihm nicht an. Der Landwirt aus Steinheim bei Dillingen sitzt an seinem Schreibtisch in einem kahlen Büro, tippt auf eine Karte und nennt mit ruhiger Stimme fünf Jahreszahlen: 1965, 1999, 2002, 2005, 2013. In diesen Jahren ist die Donau über ihre Ufer getreten, in jedem dieser Jahre hat der sogenannte Riedstrom die landwirtschaftliche Fläche des 64-Jährigen überflutet: Mais, Rüben, Weizen – vernichtet. Eine Entschädigung des Freistaats Bayern gab es laut Kästle nur zwei von fünf Mal. Für viele Bauern sei das „existenzbedrohend“, sagt er. Und nun soll alles noch viel schlimmer werden, fürchtet er – nicht nur für die Landwirte.
Zwei Stunden später wartet Kästle mit hunderten Menschen vor dem Dillinger Stadtsaal am Kolpingplatz auf eine Frau, die aus einer weißen Limousine steigt: Ulrike Scharf. Die bayerische Umweltministerin (CSU) will im Stadtsaal mit Experten des Wasserwirtschaftsamts, der Technischen Universität München und Landrat Leo Schrell über ein Konzept für zwei Flutpolder in Dillingen und Steinheim sprechen. Mehr als 600 Menschen sind gekommen. Die Flutpolder sollen im Ernstfall Leben retten, sagt Scharf. Bei einem sogenannten HQ100 – einem Jahrhunderthochwasser – sollen sie wie eine Badewanne mit mehreren Millionen Litern Wasser volllaufen und die Donau von den Wassermassen entlasten. Doch die Menschen auf dem Kolpingplatz halten bei der Ankunft der Ministerin die Protestplakate hoch und schimpfen: „Enteignung!“, „Sauerei!“. Als der Dialog in der Stadthalle beginnt, bleiben die Protestplakate draußen – die Wut geht mit rein.
Angst vor Hochwasser: Können Flutpolder Leben retten?
Die geplanten Flutpolder beschäftigen die Bürger in Dillingen und Umgebung seit einem halben Jahr. Viele haben sich informiert, haben die Studie der Technischen Universität München gelesen, die Dillingen und Steinheim als zwei von zwölf möglichen Standorten entlang der Donau benennt. Einige Bürger fragen in der Stadthalle: Warum sollen die Flutpolder so nahe an ihren Wohnungen entstehen?
Sie fürchten sich beispielsweise davor, dass das Grundwasser ansteigt, wenn die Wassermassen bei einem Hochwasser auf einen gefluteten Polder drücken. Die Folge wären nasse Keller, möglicherweise Schimmel. „Diesen Fall deckt keine Versicherung ab“, sagt ein Anwohner in der Stadthalle. Wenn sein Keller geflutet wird, müsse er das selbst bezahlen. Doch so weit wird es nicht kommen, sagt Ralph Neumeier, Leiter des Wasserwirtschaftsamts in Donauwörth.
Pfiffe und Buhrufe folgen, als Neumeier verspricht, dass die Keller nicht volllaufen werden. Viele aus dem Publikum glauben ihm nicht. Und auch bei den Worten der Ministerin gibt es Zwischenrufe und Buhrufe. Scharf betont, ihr sei der Dialog mit den Bürgern wichtig. Immer wieder sagt sie, dass sie „sehr dankbar“ sei: für eine Frage aus dem Publikum, für das große Interesse der Menschen, für den Dialog mit Anwohnern und Betroffenen.
Bürger fürchten nasse Keller und Schimmel wegen Flutpolder in Dillingen
Die Fragen werden unterdessen nicht weniger. Immer mehr Menschen stellen sich in einer Reihe in der Mitte des Saals, um Antworten der Ministerin und der Experten zu hören: Mitglieder des Bayerischen Bauernverbands, Anwohner der Reutesiedlung, die sich besonders vor nassen Kellern fürchten, ein Mann vom Bund Naturschutz, eine Pelzverkäuferin, eine Wurstverkäuferin, der Vizekommandeur der Schießanlage der Bundeswehr und so weiter. Einige Probleme betreffen nur Einzelne, über andere klagen viele. So ein Massenproblem sehen viele Bürger, wenn sie an ihr Trinkwasser denken.
Der Chef der Donau-Stadtwerke Dillingen-Lauingen, Wolfgang Behringer, hält die Polderstandorte in Dillingen und Steinheim für die „schlechtestmögliche“ Lösung der Staatsregierung. Die verstoße gegen die Wasserschutzgebietsverordnung: „Damit machen sie das Trinkwasser für 30000 Menschen kaputt.“ Und auch das Thema Riedstrom sprechen Betroffene im Stadtsaal immer wieder an – es istdas Thema, das auch Landwirt Kästle geklärt haben will, bevor über Flutpolder gesprochen wird.
Denn der Riedstrom, der mit Donauwasser gefüllt ist, überschwemmt seine Äcker bei Hochwasser – egal ob Flutpolder entstehen oder nicht. Allein 2013 seien etwa 500 Bauern betroffen gewesen – und erst zum zweiten Mal nach 1999 entschädigt worden. Doch was ist, wenn die nächste Flut naht? Gibt es dann wieder Geld – oder nichts, so wie in den Jahren 2002 und 2005?
Eine rechtliche Grundlage für eine Entschädigung gibt es nicht. Und es wird sie nicht geben, sagt die Umweltministerin. Es handle sich um ein natürliches Überschwemmungsgebiet. Für Kästle und andere Gäste im Stadtsaal ist das ein enttäuschendes Signal. Als der Hochwasserdialog nach drei Stunden endet, hat sich bei ihnen nichts geändert: Die Wut bleibt.
Die Diskussion ist geschlossen.