Leiter Staatskanzlei (m/w) gesucht
Im Kabinett von Horst Seehofer ist wieder ein Posten frei. Aber nicht irgendeiner. Wer die Staatskanzlei führt, hat eine Schlüsselstelle inne. Das macht die Suche so schwierig.
Selbst ein raffiniert ausgeklügeltes Machtgefüge kann mit einem Schlag aus den Fugen geraten. CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer erlebt das gerade. Erst vor knapp einem Jahr, als er nach der Rückeroberung der absoluten Mehrheit für die CSU bei der Landtagswahl den Zenit seiner Macht erklommen hatte, war es Seehofer gelungen, seine vier „Kronprinzen“ in ein fein ausbalanciertes System einzubinden.
Markus Söder durfte Finanz-, Joachim Herrmann Innenminister bleiben – jeweils ausgestattet mit zusätzlichen Kompetenzen. Ilse Aigner bekam das Wirtschaftsministerium und obendrein die Chance, als oberste Managerin der Energiewende zu punkten. Und die Ehrgeizigste von allen, die 51-jährige Christine Haderthauer, holte Seehofer zu sich in die Staatskanzlei, also direkt in das politische Machtzentrum des Freistaats.
Horst Seehofer bereitete Christine Haderthauer den Weg
Er musste sie regelrecht locken. Leiterin der Staatskanzlei allein, das reichte ihr nicht. Also machte Seehofer sie auch noch zur Staatsministerin für Bundesangelegenheiten, was ihr die große Berliner Bühne und den Weg in die Talkshows öffnete. Aber das reichte ihr immer noch nicht. Richtig zufrieden war sie erst, als Seehofer ihr auch noch versprach, dass künftig in der Regel sie allein die Beschlüsse der Bayerischen Staatsregierung verkünden darf – jeden Dienstagmittag nach der Sitzung des Kabinetts. Haderthauer durfte Gesicht und Stimme der Staatsregierung sein.
Damit freilich ist die Machtfülle, die der Regierungschef ihr zumindest formal einräumte, noch längst nicht ausreichend beschrieben. Das Kerngeschäft einer Leiterin der Staatskanzlei nämlich ist von außen kaum sichtbar.
Staatskanzlei hat ähnlich viele Beschäftigte wie das Weiße Haus
Zum einen kontrolliert die Staatskanzlei, die mit 385 Stellen fast so viel Personal hat wie das Weiße Haus in Washington (rund 450 Mitarbeiter), die sogenannten Spiegelreferate, die Arbeit der Ministerien. Die Referatsleiter sind so eine Art Aufpasser für die Minister. Und Haderthauer war ihre Chefin.
Zum anderen ist die Staatskanzlei unter einer CSU-Alleinregierung immer auch die Schnittstelle für die Zusammenarbeit der Regierung mit der CSU-Landtagsfraktion. Regierung, Fraktion und Partei sollen nach klassischem Verständnis der CSU eine „Aktionseinheit“ sein. Franz Josef Strauß hielt das so, Edmund Stoiber auch, und unter Horst Seehofer ist das seit dem Ausscheiden der FDP aus der Regierung auch nicht viel anders – geballte Macht statt geteilte Macht.
Recht viel machen konnte Haderthauer aus ihrer Rolle in der kurzen Zeit allerdings nicht. Das hatte hauptsächlich zwei Gründe. Der erste: Ihre Konkurrenten um die Seehofer-Nachfolge agierten ausgesprochen eigenständig. Finanzminister Söder veranstaltete einmal sogar eine eigene Pressekonferenz im Anschluss an die Kabinetts-Pressekonferenz.
Unter der Leitung von Thomas Kreuzer, ihrem unmittelbaren Vorgänger in der Staatskanzlei, fand auch die CSU-Landtagsfraktion langsam wieder zu mehr Selbstbewusstsein zurück. Und dann war da ja auch noch der oberste Chef, Horst Seehofer. Er meldete sich immer wieder selbst zu Wort. Der zweite Grund: Schon bald nach ihrem Amtsantritt in der Staatskanzlei geriet Haderthauer in der Modellauto-Affäre unter Druck. Sie musste zwar erst jetzt zurücktreten. Ihre Rolle als „Kronprinzessin“ aber war sie längst los.
Haderthauer-Nachfolge: Die Anforderungen sind hoch
Dennoch muss Seehofer jetzt die Schlüsselposition, die er eigens für Haderthauer maßgeschneidert hatte, neu besetzen. Das Anforderungsprofil an die Person ist anspruchsvoll. Die Nachfolgerin oder der Nachfolger sollte intelligent, redegewandt und fernsehtauglich sein, auf Bundesebene mit den Vertretern der anderen Länder auf Augenhöhe verhandeln können, Erfahrung in der Regierungsarbeit haben, Seehofer in den Alltagsgeschäften den Rücken freihalten und eine große Behörde mit selbstbewussten Beamten leiten können und obendrein das Vertrauen der CSU-Landtagsfraktion genießen. Außerdem sollte der Kandidat oder die Kandidatin wie Haderthauer aus Oberbayern stammen. Der Regionalproporz, also die gleichgewichtige Verteilung der Regierungsämter nach Regierungsbezirken, ist in der CSU ein uraltes Dogma.
Damit ist zugleich Seehofers aktuelles Problem beschrieben. So jemand ist in der Partei im Moment nicht so einfach zu finden. Die Personaldecke ist dünn geworden. Will Seehofer weder das Kabinett in München großräumig umbilden noch aus Berlin oder Brüssel jemanden abziehen, dann kann er nur in der CSU-Landtagsfraktion nach einem Ersatz suchen.
Seine Suche begann, wie aus Regierungskreisen gestern zu hören war, dennoch in Brüssel. Doch die Vorsitzende der Frauen-Union in Bayern, Angelika Niebler – gerade erst zur Chefin der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament gewählt –, gab ihrem Parteichef angeblich wieder mal einen Korb. Sie sei schon einmal für das Kabinett in München im Gespräch gewesen, wolle aber in Brüssel bleiben. Damit habe Seehofer, wenn es schnell gehen soll, nur noch wenige Möglichkeiten.
Die beiden wahrscheinlichsten Varianten sehen im Moment so aus: Entweder er entscheidet sich für den Freisinger Landtagsabgeordneten Florian Herrmann oder er holt Bildungsstaatssekretär Georg Eisenreich (München) in die Staatskanzlei und besetzt dessen Stelle im Kultusministerium mit der stellvertretenden Vorsitzenden der CSU-Landtagsfraktion Kerstin Schreyer-Stäblein aus dem Landkreis München.
Der 43-jährige Rechtsanwalt Herrmann gilt in der CSU als politisches Talent, hat aber bisher keine Erfahrung in der Regierungsarbeit. Der 44-jährige Eisenreich, auch er ist Anwalt, gehört ebenfalls zur kommenden Generation, sitzt aber auch erst seit vergangenem Herbst im Kabinett. Die Sozialpädagogin Schreyer-Stäblein, 43, hat sich in der Fraktion in kurzer Zeit profiliert und wurde im Herbst in die Riege der Stellvertreter gewählt. Die Aufgabe als Staatssekretärin trauen ihr die Kollegen jederzeit zu. Außerdem würde sie dazu beitragen, die Frauenquote in der Staatsregierung stabil zu halten.
Eine zweite Christine Haderthauer gibt es nicht
Die Liste der Namen zeigt freilich auch, dass dem Regierungschef kein Ersatz vom Kaliber einer Christine Haderthauer zur Verfügung steht. So erleichtert er über ihren Rücktritt auch sein mag – die Lücke, die sie hinterlässt, kann er nicht eins zu eins auffüllen.
Unmittelbare Folge des Dilemmas war gestern Nachmittag, dass die Entscheidung, die eigentlich möglichst schnell hätte fallen sollen, erst einmal nicht fiel. Nicht einmal im Bezirksverband Oberbayern unter Leitung von Wirtschaftsministerin Ilse Aigner habe man sich, so berichten Insider, auf einen Vorschlag einigen können. Beinahe stündlich wurden neue Namen ins Spiel gebracht: Umweltminister Marcel Huber (Oberbayern), der das Amt schon einmal innehatte. Finanzstaatssekretär Albert Füracker (Oberpfalz), der sich eigentlich um die neu gegründete Außenstelle des „Heimatministeriums“ in Nürnberg kümmern soll. Ingrid Heckner (Oberbayern), derzeit Vorsitzende des Ausschusses für den Öffentlichen Dienst. Ulrike Scharf (Oberbayern), die allerdings erst sehr wenige Jahre als Abgeordnete hinter sich hat.
Angesichts dieses Personalangebots sei es gut möglich, so wurde gemutmaßt, dass Seehofer sich doch noch für eine größere Umbildung seines Kabinetts entscheide und die Zuständigkeiten des Leiters der Staatskanzlei wieder auf andere Ministerien verteile. Das Machtgefüge müsste dann neu justiert werden.
Die Opposition nutzte die Situation gestern auf ihre Weise. SPD und Grüne schlugen vor, Seehofer solle die Stelle Haderthauers einfach ersatzlos streichen. Eine Ministerin und letztlich auch nur ein Ministerinnengehalt in der Staatskanzlei seien ausreichend, sagte Grünen-Fraktionschefin Margarete Bause. Die eine Ministerin in der Staatskanzlei ist aktuell Europaministerin Beate Merk (Neu-Ulm). SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher sagte: „Nach dem Rücktritt von Frau Haderthauer bedarf es in der Regierung Seehofer keiner Nachbesetzung. Der Ministerpräsident sollte Frau Haderthauers Geschäftsbereich im Sinne schlanker Strukturen einem anderen Kabinettsmitglied zuschlagen.“
So abwegig sind diese Vorschläge nicht – zumindest theoretisch. In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg leiteten auch Beamte oder Staatssekretäre die Behörde. Bis solche Herren wie Edmund Stoiber (1982 bis 1988) und Erwin Huber (1994/95 und 1998 bis 2005) kamen und aus der Staatskanzlei ein Machtzentrum formten.
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