Warum es in München einen Baby-Boom gibt
München boomt. Auch bei den Babys. Ein Grund ist der Zuzug in die wirtschaftlich starke Region. Die Folge: Es wird nicht nur am Wohnungsmarkt eng, sondern auch im Kreißsaal.
Die Sorge, das eigene Volk könnte aussterben, treibt die Menschheit seit Urzeiten um. Auch im Deutschland der Neuzeit gibt es angesichts niedriger Geburtenraten diese düstere Befürchtung. München scheint eine Ausnahme zu bilden.
Nur in Berlin (gut 35 000) und Hamburg (18 100) gab es 2014 laut Statistischem Landesamt mehr Entbindungen als in München (16 100). Werden Geburten und Sterbefälle zusammen betrachtet, wächst aber München stärker - um 3,8 pro 1000 Einwohner. In Berlin und Hamburg sind es 0,7 und 0,5. München platzt aus den Nähten - nicht nur bei Wohnungen, Nahverkehr und Kitas, sondern auch bei den Kreißsaal-Plätzen. Sind die Münchner besonders mutig bei der Zeugung? Der Babyboom hat mehrere Gründe:
ZUZUG:
München ist mit seinem prosperierenden Arbeitsmarkt und hohen Freizeitwert ungebrochen attraktiv. "Nicht die ureigenste Münchner Bevölkerung ist so fruchtbar, sondern die jungen Menschen, die nach München ziehen und ihre Familie gründen", sagt der Sprecher des Statistischen Landesamtes, Gunnar Loibl.
Die Einwohnerzahl stieg im vergangenen Jahr um 1,8 Prozent; im Mai wurde die 1,5-Millionen-Marke geknackt. "Wir sehen bei uns sehr viele Jungakademikerinnen und gut ausgebildete Fachkräfte", berichtet Olaf Neumann, Chefarzt der Schwabinger Frauenklinik, über die jungen Mütter.
GEBURTENANSTIEG:
Die Frauen bekommen wieder mehr Kinder. Laut Statistischem Bundesamt stieg die Zahl der Kinder pro Frau nach einem Tiefstand von 1,25 nach der Wende langsam wieder an auf 1,41. Eine Bevölkerungsvorausberechnung sieht neben einer möglichen Stagnation auch die Variante, dass die Zahl bis auf 1,6 wachsen könnte. Zum Vergleich: Im Jahr 1900 sollen noch 4,4 Kinder pro Frau gezeugt worden sein.
GEBURTENTOURISMUS:
Frauen aus dem Umland kommen zur Entbindung gern nach München. Auch dort ist die Lage gespannt. Stationen mit unter 500 Geburten im Jahr wurden geschlossen, sagt die Vorsitzende des bayerischen Hebammenverbandes, Astrid Giesen. Und: "Immer mehr Frauen suchen die großen Kliniken auf, um den absolut höchsten medizinischen Standard zu haben."
Auch aus dem Ausland, etwa aus Russland und der arabischen Welt, kommen Schwangere. Im November entband eine Frau aus Abu Dhabi Vierlinge. Das Paar hatte sich angesichts der Risikoschwangerschaft für München entschieden. Solche Extremfälle aus dem Ausland seien aber prozentual kaum messbar, sagt der Schwabinger Chefarzt Neumann. "Wir hatten dieses Jahr zwei dieser Patienten."
FLÜCHTLINGE:
Der Flüchtlingszustrom nimmt zu. In München kommen bundesweit die meisten an, derzeit täglich gut 600. "Man merkt natürlich, dass mehr Flüchtlinge auch in den Geburtskliniken auftauchen", sagt der Sprecher der Städtischen Kliniken, Marten Scheibel. "Sie spielen aber nur ein sehr untergeordnete Rolle."
In Schwabing gebe es etwa 50 Geburten von Flüchtlingsfrauen im Jahr, sagt Neumann. Bei insgesamt 2200 Geburten nicht einmal 2,3 Prozent. "Die Engpässe hätten wir auch ohne die Flüchtlinge."
HEBAMMEN:
Oft sind sie der limitierende Faktor Nummer eins. Viele Hebammen sattelten von Geburtshilfe zur Wochenbettbetreuung um - wegen der Akkordarbeit im Kreißsaal, die eine umfängliche Betreuung der Frauen verhindere, aber auch wegen hoher Haftpflichtbeiträge, sagt Giesen. Zudem sei das Gehalt oft zu niedrig, um hohe Mieten zu zahlen. "Und da liegt München an der Spitze." Dies begrenzt auch die Zahl der Krankenschwestern.
Vor allem auf Kinderintensivmedizin spezialisierte Schwestern fehlten, sagt Neumann. Es gebe bundesweit nicht viele dieser bei Frühgeburten gebrauchten Schwestern. Gerade in München werden sie händeringend gesucht. "Wir haben Schwestern, die kommen würden. Aber sie können sich die hohen Mieten nicht leisten."
Berichte, nach denen Frauen mit Wehen wegen der Engpässe abgewiesen wurden, dementieren die Städtischen Kliniken. Aber: "München ist tatsächlich in einer Ausnahmesituation", sagt Scheibel. Deshalb habe das Gesundheitsreferat einen Runden Tisch mit den Kliniken einberufen. Hat ein Haus keine Kapazität, wird die Frau gezielter als bisher weitervermittelt. Es gebe Telefonlisten für den kurzen Draht. "Frauen müssen sich keine Sorgen machen", sagt Neumann. "Wenn sie in die Klinik kommen, werden sie immer untersucht und medizinisch versorgt."
Bis 2032 wird in München ein Bevölkerungsplus von 13,4 Prozent erwartet, mit dem damit verbundenen Babyboom. Die Städtischen Kliniken bauen ihre Kapazitäten aus. Hier kommen jährlich rund 4000 Babys zur Welt. "In Zukunft werden wir 6000 Geburten machen können", sagt Neumann. "Wir sind auf die Situation eingestellt." dpa
Die Diskussion ist geschlossen.