Neu-Ulm blüht auf: Blumenschau startet am Freitag
Das lange Warten hat ein Ende: Am Freitag eröffnet Ministerpräsident Günther Beckstein die Landesgartenschau 2008 in Neu-Ulm. 164 Tage lang grünt und blüht es jetzt in der Donaustadt.
Die Bitte, in breitem Schwäbisch vorgetragen, hört sich an wie ein Flehen. "Jetzt fahret doch net all mehr rein mit dem Bagger", werden Arbeiter einer Landschaftsbaufirma beschworen. Denn der Bagger hinterlässt auf den fein bekiesten Wegen Spuren, die niemand 35 Stunden vor der Eröffnung der Neu-Ulmer Landesgartenschau (LGS) brauchen kann. Die Nerven sind angespannt bei denen, die fast rund um die Uhr arbeiten, um auf den letzten Drücker das Wunder zu vollbringen: Wo vor wenigen Wochen noch Dreck und Schlamm das Bild bestimmt haben, hat sich Rollrasen breitgemacht, sind läuseresistente Salate gepflanzt, warten Geranien, die ein fantasievoller Züchter "Angel Face" genannt hat, auf Besucher, um denen ihr "Engelsgesicht" entgegenzustrecken.
Der heutige Tag ist der erste von 164, an denen die Grenzstadt Neu-Ulm ihre verwirklichten Blütenträume einer breiten Öffentlichkeit herzeigen kann. "Ich freu mich richtig drauf", sagt Franziska Stadler und weist auf die Dauerkarte hin, die sie gekauft hat. Das Gelände am Bahnhof ist eine der drei LGS-Stätten - bis vor kurzem noch ein ziemlich hässlicher Ort. Nach dem Krieg bildeten die Schienenstränge stählerne Trennlinien zwischen Stadtteilen. In ihrem Kern wurden der Stadt dadurch Entwicklungschancen genommen - und Neu-Ulm bekräftigte den Ruf, nur die kleine hässliche Schwester Ulms zu sein. Das, hoffen die Kommunalpolitiker auf der bayerischen Seite der Donau, wird mit der Landesgartenschau der Vergangenheit angehören. Im Zuge des Bahnprojekts "Neu-Ulm 21" wurden die Gleise in die Tiefe gelegt. Auf der gewonnenen oberirdischen Fläche hat im östlichen Teil des "Glacis" die Gartenschau einen Platz gefunden.
Wenige hundert Meter weiter ist bereits seit 28 Jahren sichtbar, welche Wirkung eine Blumenschau entfalten kann. Denn der westliche Teil des Glacis ist dank der ersten bayerischen Gartenschau zum gut besuchten Stadtpark geworden.
Die grünen Lungen der Stadt werden mit der aktuellen LGS weiter wachsen - allerdings nicht im Ost-Glacis. Wohnungsträger wollen auf den rund neun Hektar dieses LGS-Teilgeländes Häuser in die Höhe ziehen und "scharren schon mit den Hufen", sagt Stadtkämmerer Reinhold Stier, zugleich einer der beiden Geschäftsführer der Landesgartenschau-Gesellschaft. Vier Firmen haben bereits eine Option auf das Gelände. Aber nur für "Großkopfete" sei das neu entstehende Zentrum um den Bahnhof nicht bestimmt, betont Oberbürgermeister Gerold Noerenberg (CSU). "Baufeld E" hat die Stadt nicht aus der Hand gegeben. Dort sind Sozialwohnungen geplant, ein Kindergarten, eine Kinderkrippe.
Noch aber ist von alldem nichts zu sehen. Die Einheimischen und die Besucher genießen den freien Blick auf das Ulmer Münster und können ab heute unmittelbar erfahren, welche "Wohnideen der Zukunft" Architekten und zunehmend auch Designer entwickelt haben. Funktionalität und Ästhetik spielen eine große Rolle: Das Auge wohnt mit. Das Institut für Bautechnologie und Baukonstruktion an der Hochschule Biberach hat die Platzknappheit zum Thema gemacht. Jeder der drei aufgestellten Wohnwürfel - jeweils drei Meter lang, drei Meter breit und drei Meter hoch - ist für einen Menschen konzipiert, der darin arbeiten, kochen, schlafen, wohnen soll. Das Experiment läuft viermal für jeweils einen Monat. Heute ziehen die ersten Bewohner ein.
Während es im Glacis um Wohnvisionen und praktische Tipps wie die Nutzung von Erdwärme geht, ist die eigentliche Leistungsschau rund um das Thema Garten auf dem "Vorfeld" zu sehen. Auf 2,6 Hektar haben sich die Floristen, die Garten- und Landschaftsbauer ins Zeug gelegt und beispielsweise acht Mustergärten angelegt, die mit dem Thema Wasser zu tun haben. Sportlich Begeisterte sollen schließlich auf dem Wiley-Gelände, dem größten der drei Gartenschau-Areale, auf ihre Kosten kommen. Die Sport- und Freizeitanlage ist von einer 1,2 Kilometer langen Skater-Rundstrecke umgeben. Damit die kalkulierten 750 000 Gäste die Blütenpracht nicht ganz aus den Augen verlieren, sind im Bereich des Haupteingangs 80 000 Frühjahrsblumen gepflanzt.
LGS-Geschäftsführer Stier sieht in dem wahr gewordenen Blütentraum eine "Steilvorlage" für die Stadt Neu-Ulm. Wichtig sei vor allem - und das nicht nur für das Zentrum um den Bahnhof -, was nach den 164 Tagen bleiben wird. Gerade im "Vorfeld" - dort leben 38 Nationen zusammen - sei durch die Großveranstaltung so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstanden. Die Bewohner hätten - unterstützt durch ein kommunales Förderprogramm - ihr Quartier, ein sozialer Brennpunkt in der Stadt, herausgeputzt und dabei Selbstbewusstsein entwickelt.
Das mit dem Selbstbewusstsein gilt übrigens auch für das Verhältnis Ulm und Neu-Ulm, bemerkt die 86-jährige Franziska Stadler auf ihrer Parkbank. "Wissen Sie", erklärt die rüstige Rentnerin, "Ulm ist mehr oder weniger eine große schöne Stadt. Und wir waren mehr oder weniger ein Vorort davon." Die Vorzeichen hätten sich geändert. Die Ulmer kommen wohl wegen der Gartenschau häufiger über die Donau und besuchen ihre gar nicht mehr so hässliche kleine Schwester.
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