Neu, gebraucht oder geliehen - Hauptsache Tracht
Britta Zollner bleibt auf dem Gehsteig vor einem Trachtenladen stehen. "Ganz schön voll da drin", sagt die junge Frau. Ein kariertes Dirndl hat sie sich gerade gekauft. Für 50 Euro, gebraucht. Die Münchnerin leistet sich jedes Jahr ein neues Dirndl, am liebsten secondhand. "Dann hat's nicht jeder."
Drinnen, in dem Billig-Trachtenladen in der Münchner Innenstadt, baumeln Brezen und rote Herzen von der Decke. Aus den Lautsprechern dröhnt der Wiesnhit "Hey Baby". Es ist stickig und eng. Eine Frau zwängt sich an einer anderen vorbei. Sie will als Erste bei den Schürzen in Pink, Lila und Rosa sein.
Nervös zerrt eine junge Kundin mit lockigen Haaren an dem schwarzen Mieder, das ihr viel zu groß ist. Sie ist neu in der Stadt, sagt sie, und geht mit Kollegen auf die Wiesn. Jetzt braucht sie ein Dirndl, wie alle anderen - egal ob neu oder gebraucht, bunt oder schwarz. Hauptsache Dirndl. Dann ist sie weg. Eine Kabine ist frei geworden.
Auch in den Kaufhäusern ist der Andrang zum Start der Wiesn groß. Das Dirndl von der Stange ist schon für unter 100 Euro zu haben, für etwas Maßgeschneidertes muss man mitunter mehrere tausend Euro ausgeben. Wer sich keine Tracht kaufen will, kann sie auch mieten.
200 Dirndl und 150 Krachlederne hat Waltraud Breuer in ihrem Kostümverleih im Angebot. Der Anteil der Trachten ist gering im Vergleich zu Faschingskostümen und Ballkleidern. Unten, im Keller, stapeln sich die Haferlschuhe zwischen Bärenkostümen und Dracula-Umhängen.
Ihre Kunden, sagt Waltraud Breuer, das sind junge Leute, die sich zum ersten Mal an eine Tracht trauen, der Bayer, der ein paar Kilo zugelegt hat und nicht mehr in die eigene Lederhose passt oder Firmen, die für ihre Mitarbeiter einen Wiesnbesuch organisieren.
Etwa 60 Euro zahlt man für eine Kniebundhose, bis zu 180 Euro für ein Dirndl, das man drei Tage behalten darf. Die älteren Frauen mögen Kleider mit echtem Schnürmieder, teurem Brokatstoff und Seidentüchern, die jungen lieben kecke, kurze Dirndl in frischen Farben.
Mancher fühlt sich im Leih-Outfit so wohl, dass er es anschließend kauft. Breuer fertigt auch Kostüme nach Maß an. Und sie berät ihre Kunden, welche Tracht zu ihnen passt. "Die Leute wollen ja auch gut drin ausschauen."
Im Billig-Trachtenladen in der Innenstadt hat der Verkäufer keine Lust, Fragen zu beantworten. Erst recht nicht so kurz vor der Wiesn, motzt er. Dann geht er nach hinten, zu den Lederhosen, die zwischen Trachtenstrümpfen und Dirndl-Blusen hängen, und füllt die leeren Gläser der Kunden mit Prosecco.
Scott, Richie und Jason hätten jetzt lieber ein Bier. "Beer is good", gröhlt Richie. Das bayerische Bier und die Wiesn haben die Neuseeländer nach Bayern gelockt. Sieben Tage Oktoberfest - da ist die Lederhose ein Muss. "Looks good", sieht toll aus, meint Jason und grinst.
Draußen, vor dem Geschäft, beobachtet ein Passant mit einem Kopfschütteln das Treiben im Laden. "Mit Tracht hat das doch schon lange nichts mehr zu tun", meint er grantelnd. Dann geht er weiter.
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