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Foto: Thomas Warnack, dpa
Foto: Thomas Warnack, dpa

Ein Spaziergang gehört neben einer ausgewogenen Ernährung zu den Maßnahmen, die das Immunsystem unterstützen.

Interview
23.01.2021

Oberarzt: „Bewegung an frischer Luft verbessert das Immunsystem“

Von Daniela Hungbaur

Plus Ein Oberarzt aus dem Universitätsklinikum Augsburg erklärt, was jeder tun kann, um die überlebenswichtige Arbeit des Systems zur Infektabwehr zu unterstützen.

Herr Dr. Wahle, Sie sind Internist und Facharzt für Klinische Immunologie am Uniklinikum Augsburg. Vor dem Hintergrund des grassierenden Corona-Virus fragen sich viele: Wie kann man sein Immunsystem stärken?

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Dr. Matthias Wahle: Die Antwort mag banal erscheinen, aber eine messbare Verbesserung der Infektabwehr wird durch viel Bewegung an der frischen Luft erreicht. Dagegen ist eine Stärkung des Immunsystems durch die Einnahme von Präparaten, welche vermeintlich die Immunabwehr stärken, nicht belegt. Da hilft dann oft nur der Glaube daran. Der Verzicht auf Alkohol ist für die Infektabwehr hingegen günstig, denn Alkohol schwächt das Immunsystem messbar. Und Rauchen schädigt die lokale Infektabwehr – und zwar vor allem dort, wo der Rauch einwirkt, also in den Atemwegen.

Gerade in Corona-Zeiten ist Rauchen damit besonders schädlich?

Wahle: Natürlich, Rauchen ist da nicht hilfreich.

Warum kommt eigentlich unser Immunsystem mit dem neuen Coronavirus nicht zurecht, was läuft hier schief?

Wahle: Zunächst dürfen wir festhalten: Viele Menschen kommen mit der Erkrankung glücklicherweise relativ gut zurecht, nicht jeder hat einen schweren Verlauf. Aber vor allem bei Vorliegen von Risikofaktoren wie höherem Lebensalter, männlichem Geschlecht, Übergewicht und Erkrankungen wie hoher Blutdruck oder Diabetes erhöht sich das Risiko, einen schwereren Verlauf zu erleiden. Offensichtlich haben diese Risikofaktoren einen Einfluss lokal bei der Infektion, aber auch bei der Weiterverbreitung des Erregers im Körper und bei der Bekämpfung des Erregers. Bei schweren Verläufen wird auch eine Überaktivität des Immunsystems festgestellt, die auf eine Fehlregulation der Immunantwort hindeutet. Das heißt, nötig ist gute und schnelle Aktivierung der Immunabwehr, die aber auch nicht zu stark beziehungsweise überschießend sein darf.

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Wie funktioniert diese Infektabwehr eigentlich? Man unterscheidet grundsätzlich zwischen dem angeborenen und dem erworbenen Immunsystem. Wie unterscheiden sich diese Systeme?

Wahle: Die Abwehr von Infektionen ist ein sehr vielschichtiger Prozess, an dem viele Strukturen beteiligt sind und alles muss perfekt zusammenarbeiten. Das beginnt mit der Funktion der allerersten anatomischen Barrieren, also der Schleimhäute und der Flimmerhärchen in den Atemwegen. Das ist sozusagen die erste Ebene der Abwehr von Infektionen. Die zweite Ebene ist das sogenannte angeborene Immunsystem. Es hat den Vorteil, dass es sehr schnell in Aktion tritt. Der Nachteil ist, dass es nicht so genau reagiert wie das erworbene Immunsystem. Für eine optimale Erregerabwehr ist daher auch das erworbene Immunsystem wichtig. Hätten wir aber nur das adaptive Immunsystem, könnten viele Erreger nicht schnell genug attackiert werden, also sind beide wichtig.

Auch wenn es sehr kompliziert ist, können Sie die Grundzüge, wie die beiden Systeme arbeiten, erklären?

Wahle: Sowohl das angeborene wie auch das erworbene Immunsystem hat vor allem zwei Mechanismen, um Infektionen abzuwehren: Bei der zellulären Immunabwehr werden Abwehrzellen aktiviert um andere, infizierte Zellen, Bakterien oder Erreger zu bekämpfen und zu zerstören. Die zweite Methode ist die Herstellung von löslichen Abwehrfaktoren, die humorale Immunabwehr, die im Blut, in der Lymphe, aber auch auf Schleimhäuten oder beispielsweise in der Tränenflüssigkeit Erreger lokal abwehren kann. Im Vergleich zum angeborenen Immunsystem kann das erworbene Immunsystem viel gezielter den jeweiligen Angreifer bekämpfen und es kann seine Abwehrreaktion sogar optimieren, benötigt aber mehr Zeit für seine Entfaltung. Die Zeit bis zur optimalen Wirkung des erworbenen Immunsystems wird durch das angeborene Immunsystem überbrückt, es kann schneller aktiviert werden. Die löslichen Abwehrfaktoren des erworbenen Immunsystems sind die sogenannten Antikörper, sie werden von spezialisierten Zellen, den B-Lymphozyten hergestellt. Antikörper verbessern im Laufe ihrer Bildung die Fähigkeit, Krankheitserreger zu bekämpfen. Aber es dauert eben länger. Für die zelluläre Immunabwehr des erworbenen Immunsystems sind die sogenannten T-Lymphozyten zuständig.

Das Immunsystem ist also lernfähig. Man spricht auch von der Schule des Immunsystems

Wahle: Die Schule des Immunsystems ist deswegen so ein schönes Bild, weil die sogenannte Thymusdrüse, die für die Ausbildung der erworbenen zellulären Immunabwehr zentral ist, vor allem in der Kindheit und Jugend aktiv ist. Diese Drüse, die hinter dem Brustbein liegt, wird im Laufe des Lebens immer kleiner. Das Gute daran ist aber, dass wie bei uns in der Schule, einmal Gelerntes nicht einfach verschwindet, wir sprechen nicht umsonst von den Gedächtniszellen.

Bleiben diese Gedächtniszellen denn ein Leben lang erhalten?

Wahle: Viele Gedächtniszellen bleiben für lange Zeit, zum Teil Jahrzehnte vorhanden, manchmal verschwinden sie auch nach relativ kurzer Zeit. Viel hängt von der Art der Infektion ab: Für manche Erreger haben wir offenbar für lange Zeit Gedächtniszellen, bei anderen Infektionen verschwinden sie nach einer gewissen Zeit wieder. Dies scheint auch bei der Covid-19-Erkrankung so zu sein: Wir haben zunächst ein gutes Abwehrgedächtnis, das wir aber in relativ kurzer Zeit wieder verlieren. Ob das an den Veränderungen der Viren liegt, den sogenannten Mutationen, oder an der Tatsache, dass wir nicht für alle Infektionen ein Leben lang Gedächtniszellen haben, ist noch nicht klar. Vermutlich liegt es an beidem.

Wenn die Ausbildung des Immunsystems vor allem in der Kindheit und Jugend stattfindet, heißt das, dass unser Immunsystem im Laufe des Lebens automatisch schwächer wird oder?

Wahle: Ja, das Immunsystem wird schwächer und kann auch durch Erkrankungen oder den Lebensstil schlechter werden.

Kommt jeder mit dem gleich guten Immunsystem auf die Welt?

Wahle: Nein. Es ist auf den verschiedenen Ebenen individuell gut ausgeprägt. Sind die Immunkräfte auf mehreren Ebenen schwächer ausgebildet, kann sich eine Abwehrschwäche entwickeln und das Risiko für Infektionen steigt.

Kann ich messen, wie gut mein Immunsystem funktioniert?

Wahle: Wir können es daran erkennen, wie oft wir krank sind, aber auch wie schwer die Verläufe von Infektionen sind.

Welche Rolle spielen die Geschlechtshormone für das Immunsystem?

Wahle: Schon bei Corona-Erkrankungen ist zu beobachten, dass Männer häufiger von schweren Krankheitsverläufen betroffen sind als Frauen. Männer haben im Schnitt auch ein schwächeres Immunsystem als Frauen, was tatsächlich nicht nur, aber auch mit den Hormonen zusammenhängt: Testosteron wirkt eher immununterdrückend und Östrogen immunstärkend. Ein stärkeres Immunsystem kann aber auch Nachteile nach sich ziehen. So erkranken Frauen häufiger an Autoimmunerkrankungen.

Autoimmunerkrankungen zeigen, wie gefährlich unser Immunsystem auch sein kann.

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Foto: Ulrich Wirth
Foto: Ulrich Wirth

Dr. Matthias Wahle, Sektionsleiter Rheumatologie & Klinische Immunologie, ist Oberarzt am Uniklinikum Augsburg.

Wahle: Und das Wunder ist weniger, dass es so reagiert, als Wunder kann man es bezeichnen, dass es in diesem hoch komplexen System nicht noch viel öfter zur Bekämpfung der eigenen Zellen kommt. Alles muss wirklich sehr gut ausbalanciert sein, wie bei einer Waage. Und oft werden Vorteile auf der einen mit Nachteilen auf der anderen Seite „erkauft“: Zum Beispiel sind für die rheumatische Erkrankung Morbus Bechterew bestimmte Erbanlagen des Immunsystems mitverantwortlich. Diese Erbanlagen führen aber gleichzeitig dazu, dass die Träger bei manchen Viruserkrankungen schwächere Verläufe aufweisen, was positiv ist.

Mit Krebszellen hat das Immunsystem vieler Menschen offenbar massive Probleme?

Wahle: Krebszellen sind oft sehr schlau und können sich vor den Abwehrzellen verstecken oder sie hebeln den Abwehrmechanismus des Immunsystems sogar aus. Daher wird mit Medikamenten versucht, das körpereigene Immunsystem anzukurbeln – bei manchen Krebserkrankungen mit Erfolg.

Und was passiert beim Impfen?

Wahle: Durch eine Impfung wird das Immunsystem auf einen bestimmten Erreger schon vorbereitet, bevor es in Kontakt mit ihm kommt. Die Abwehrkräfte hat der Körper damit schon in der Schublade und sie sind sofort verfügbar, wenn der Erreger da ist. Das bedeutet für das Immunsystem vor allem einen sehr wichtigen Zeitvorteil.

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Der Darm ist in jüngster Zeit stärker in den Fokus gerückt, gerade wenn es um eine gute Immunabwehr geht. Spielt er eine zentrale Rolle?

Wahle: Alle Organe spielen bei einem gut funktionierenden Immunsystem eine wichtige Rolle. Der Darm ist allerdings, was wir uns oft nicht klarmachen, schon aufgrund seiner großen Oberfläche ein sehr wichtiges Organ, bei dem über diese große Oberfläche Erreger in den Körper eindringen können. Auch eine Störung der Darmflora, das sogenannte Mikrobiom, kann die Infektionsabwehr schwächen. Auch dies unterstreicht die Bedeutung einer guten und ausgewogenen Ernährung.

Gleichzeitig boomt der Markt für Nahrungsergänzungsmittel. Vitamin D scheint besonders wichtig zu sein und fehlt gerade im Winter oft?

Wahle: Grundsätzlich gilt es festzustellen: Bei einer ausgewogenen Ernährung sind Nahrungsergänzungsmittel nicht notwendig. Und ich kann Fehlernährung nicht einfach mit der Einnahme von Substanzen ausgleichen. Beim Vitamin D gilt folgendes: Bei vielen Erkrankungen kann ein Mangel an Vitamin D nachgewiesen werden. Leider hat aber eine Zufuhr von Vitamin D keinen lindernden Effekt bei diesen Erkrankungen. Für die Knochengesundheit ist ein normaler Vitamin D-Spiegel hingegen wichtig. Nicht gezeigt werden konnte, dass die Einnahme von Vitamin D die Immunabwehr stärkt. Eine zu hohe Zufuhr einiger Vitamine kann auch Schäden anrichten – das gilt für Vitamin D ebenso wie etwa auch für Vitamin E.

Welche Rolle spielt die Psyche?

Wahle: Die Psyche und das Immunsystem interagieren miteinander und beeinflussen sich gegenseitig. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass Medizinstudenten, die vor einem Examen stehen und sich somit in einer Phase stärkerer psychischer Belastung befinden, wesentlich infektanfälliger sind als außerhalb dieser Prüfungsphase. Es gibt sogenannte Stresshormone, die bei Anspannung vermehrt ausgeschüttet werden und die das Immunsystem schwächen. Eine richtige Balance zwischen körperlicher und psychischer Aktivierung und zwischen Aktivität und Ruhe ist eine wichtige Voraussetzung für ein funktionierendes Immunsystem. Daher ist Leistungssport und ein bevorstehender wichtiger Wettkampf für ein optimal funktionierendes Immunsystem auch eine weniger gute Voraussetzung im Vergleich zu moderatem Ausdauersport, der einen günstigen Einfluss auf die Immunabwehr hat.

Zur Person: Dr. Matthias Wahle, 56, Privatdozent, Sektionsleiter Rheumatologie & Klinische Immunologie, ist Oberarzt am Uniklinikum Augsburg.

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