Tirol sperrt Landstraßen - so eskalierte der Konflikt an der Grenze
Der Verkehr ist ständiger Konfliktherd zwischen Bayern und Österreich. Nun herrscht besonders dicke Luft: Tirol hat einige Landstraßen gesperrt.
Der neue Grenzkonflikt zwischen Bayern und Österreich beginnt an diesem Samstagmorgen mit einem Lächeln. Regina Jenewein spaziert über den Zebrastreifen, der ihr Haus mit dem Gasthof der Familie verbindet. Einfach so, ohne warten zu müssen. Ein kleines Wunder.
Tirol verhängt Fahrverbote: Im Grenzkonflikt hat sich einiges aufgestaut
Normalerweise stehen hier Autos mit und ohne Wohnwagen wie eine Wand zwischen den Straßenseiten. Und man muss sich vor ungeduldigen Motorradfahrern hüten, die versuchen, sich am Stau vorbeizuschlängeln. Es gibt halt nur eine große Straße, die durch die 1000-Einwohner-Gemeinde Lans bei Innsbruck führt. In der Dorfmitte wird sie ganz schmal. Da stehen die Urlauber dann, die von Deutschland nach Italien oder zurückfahren. Am Pfingstwochenende, erzählen die Bewohner, sei es fast unmöglich gewesen, nur zum Einkaufen zu kommen, so viel war los. Und nun das.
An diesem Samstag also, dem ersten, an dem im österreichischen Bundesland Tirol Fahrverbote für Fernreisende auf einigen Landstraßen gelten, ist die Durchgangsstraße in Lans leer. „Das ist unheimlich“, sagt Regina Jenewein. Die Landesregierung will mit der Maßnahme, die bei den bayerischen Nachbarn so viel Zorn ausgelöst hat, den Ausweichverkehr stoppen und erreichen, dass Autofahrer auch bei einem Stau auf der Autobahn bleiben.
Das gelingt. In Lans ist es so ruhig, es fehlt nur noch der Steppenläufer, der wie in einem Westernfilm über den Asphalt weht. Und das an dem Wochenende, an dem die Pfingstferien enden und viele Urlauber nach Hause fahren.
Dominik Seebaer wohnt in Lans und leitet eine Tankstelle im Nachbarort Aldrans. Er erinnert sich auch noch an das Pfingstwochenende. Als sich die Urlauber an der Tanksäule die Zapfpistole in die Hand gaben. Für Seebaer und seine Mitarbeiter bedeutete das: Kassieren am Fließband. Jetzt ist Fahrverbot, der Verkehr deutlich geringer – und es fehlt der Umsatz. Wenn das jetzt immer so ist an den Wochenenden, und das Fahrverbot soll ja bis Mitte September gelten, könnte ein Fehlbetrag im hohen fünfstelligen Bereich zusammenkommen, sagt er.
Wirtschaftlich ist das schlecht. Und persönlich? Freue er sich über die freien Straßen, sagt er. Betrachtet man es mit den Augen von Leuten wie Regina Jenewein oder eben dem privaten Dominik Seebaer, hat der neue bayerisch-österreichische Grenzkonflikt also auch Gewinner.
Wie sich der Grenzkonflikt zwischen Bayern und Österreich entwickelt hat
Grenzkonflikt? Was war früher schon ein Grenzkonflikt? Mit Kinderaugen betrachtet war es dann einer, wenn man hinter Füssen rechts abbog und sich im vollgepackten Wagen uneins war, ob es jetzt cool wäre, wenn der Grenzbeamte vorne in Reutte die Pässe kontrollieren würde. Der Jüngste in der Familie fand das besonders aufregend, und wenn sich sein Wunsch erfüllte, konnte im bevorstehenden Urlaub nicht mehr viel schiefgehen.
Später saß man selbst am Steuer, und die Aufregung reduzierte sich auf die Frage, ob bei der Radarkontrolle in Scharnitz sofort kassiert wurde, wie günstig diesmal das Tanken auf österreichischem Boden war und ob der Lieblingsbäcker geöffnet hatte, wenn man sich die Autobahn-Vignette sparte und durch Innsbruck Richtung Brenner fuhr.
Und nun? Wird seit geraumer Zeit öffentlich und mit harten Bandagen um den bayerisch-österreichischen Grenzverkehr gerungen – und das gleich auf mehreren Baustellen. Beispielsweise, weil die Bayern beim Schienenausbau zum künftigen Brenner-Basistunnel nicht vorankommen, was ihnen die Tiroler Landesregierung pausenlos unter die Nase reibt. Oder weil Deutschland – auf Betreiben Bayerns – im Zuge der Flüchtlingskrise wieder Grenzkontrollen eingeführt hat, gelegentlich auch an kleineren Übergängen wie Füssen/Reutte.
Gut, der „kleine Grenzverkehr“, das tägliche Hin- und Herpendeln zwischen den Ländern zwecks Arbeit, Ausflug oder Einkauf, funktioniert noch immer ziemlich ungestört. Aber dort, wo gigantische Fahrzeugkolonnen aufeinandertreffen, auf der A8 etwa oder der Inntalautobahn, stößt das gegenseitige Verständnis, nun ja, eben an seine Grenzen. Überhaupt führen die meisten Konflikte auf einen Umstand zurück: Die großen Reiserouten sind heute grenzenlos überlastet.
Jetzt ist die Aufregung zumindest in der Politik so groß, dass schon die hohe Diplomatie gebraucht wird. Erst bringen ausgerechnet die Österreicher mit ihrer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof die deutschen Pkw-Mautpläne zu Fall. Und nur zwei Tage später sperrt Tirol erstmals einige Landstraßen für Reisende, wenn diese Staus auf der Autobahn ausweichen oder sich das berühmt-berüchtigte weil kostenpflichtige Pickerl sparen wollen.
Transitland Österreich: Kein Verständnis für so viel Verkehr
Ein Brennpunkt in diesem Grenzkonflikt – oder soll man hier eher sagen: Transitkonflikt? – ist der Knoten Innsbruck. Hier laufen Inntal- und Brennerautobahn zusammen. An Urlaubswochenenden gehören Staus zum gewohnten Bild. Bislang konnten Reisende von der Autobahn abfahren, um etwa auf die Landstraße nach Ellbögen auszuweichen. So umgingen sie nicht nur den Stau, sondern auch die Maut auf der Strecke über die Europabrücke. Nun markiert das Navigationssystem die Landstraße rot – gesperrt.
Wenige hundert Meter hinter der Abfahrt steht Günther Salzmann, stellvertretender Leiter der Verkehrspolizei Tirol, an einem Kreisverkehr. Für ihn ist das Reiseziel der Leute entscheidend, nicht das Nummernschild. Jeder Einzelne wird kontrolliert. Ob Österreicher, Deutscher oder Italiener: „Wohin wollen Sie?“, ist seine Standardfrage. Alle Touristen, die in Richtung Italien unterwegs sind, weist der Polizist zurück auf die Autobahn. „Die sehen das aber größtenteils gelassen“, sagt Salzmann.
Weiter im Süden, an der Ausfahrt Nösslach der Brennerautobahn, seien binnen vier Stunden rund 350 Autofahrer zurückgewiesen worden, erzählt Salzmann. Auch dort habe es keinen großen Ärger gegeben. Nur einer sei an der Kontrolle vorbeigefahren und bekam eine Geldbuße. Am Ende der gesamten Aktion werden es mehr als 1000 Autofahrer gewesen sein, die die Polizei an den Ausfahrten stoppt. Nur Anwohner oder Touristen mit Zielen in der Umgebung dürfen durch.
So ruhig das alles auf der Straße abläuft, so heftig ist der begleitende politische Schlagabtausch. Er beginnt mit Bayerns Verkehrsminister Hans Reichhart aus Jettingen-Scheppach (Landkreis Günzburg). Er nennt das Tiroler Vorgehen „unsäglich“ und „reine Schikane“ und droht mit Gegenmaßnahmen. Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Tirols Landeshauptmann Günther Platter kontert: „Nur weil unsere Nachbarn bei der Pkw-Maut eine empfindliche Niederlage einstecken mussten, sollen sie jetzt nicht die Beleidigten spielen, sondern mit uns aktiv an der Entlastung der Bevölkerung arbeiten.“
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder packt daraufhin das große Werkzeug aus. „Der Bund muss jetzt reagieren und gegen so ein Verhalten in Europa Klage einreichen“, fordert er. Dann ist wieder Platter am Zug. Er kündigt weitere Einschränkungen des Transitverkehrs an, nun auch für die Bezirke Kufstein und Reutte. Was dies konkret für Autofahrer bedeuten könnte, die beispielsweise über den Fernpass in Richtung Süden fahren, ist am Wochenende nicht zu klären.
So gut das Verhältnis zwischen Bayern und Österreich auf anderen Politikfeldern ist, beim Verkehr hat sich einiges aufgestaut. Man muss sich ja nur den täglichen Wahnsinn auf der Inntalautobahn zwischen Kiefersfelden und Kufstein anschauen. So durfte in den vergangenen Tagen zu den Stoßzeiten nur noch eine bestimmte Menge an Lastwagen über die Grenze. Mal 200 pro Stunde, dann 300, am Ende 400. Blockabfertigung nennt man das. Dies kennen auch die Anrainer am Ende der A7 in Füssen. Und sie kennen die Folgen: Stau, Stau, Stau.
Grenzkontrollen, Blockabfertigung, Fahrverbote: Was Österreicher und Deutsche aufregt
Im Inntal rechtfertigen die Tiroler die häufige Blockabfertigung damit, dass die Masse an Fahrzeugen anders nicht mehr zu bewältigen sei. Wenn dann noch wie in den vergangenen beiden Wochen der Ferienverkehr hinzukommt, ist der Kollaps besiegelt. Zuletzt staute sich die Lkw-Schlange auf der rechten Spur an mehreren Tagen zwischen 20 und 30 Kilometer zurück. Und auf der anderen Seite der Grenze ist es auch nicht viel besser. Dort steht regelmäßig der Verkehr, weil die deutsche Bundespolizei kontrolliert. Nun also auch noch Fahrverbote.
Südwestlich von Innsbruck führt eine Straße von Kematen in Tirol nach Mutters. Sie wirkt romantisch mit ihren vielen Kurven und steilen Abhängen durch Wälder hindurch. Dasselbe Bild auf der gegenüberliegenden Seite von Ampass nach Ellbögen. Ein Paradies für Motorradfahrer – bislang. Jetzt müssen auch sie auf der Autobahn bleiben oder die alte Brennerstraße nutzen, die ja vom Fahrverbot nicht betroffen ist. Auf einem Parkplatz bei Patsch stehen vier Motorradfahrer aus Berlin und planen ihre Route auf einer Landkarte. Sie machen Urlaub in Italien und sind für einen Ausflug eigens nach Innsbruck gefahren. Das Fahrverbot in diesem Bereich haben sie nicht mitbekommen.
Es ist früh am Nachmittag, und obwohl die vier schon seit ein paar Stunden in der Gegend sind, sagen sie: „Wir wurden bislang nicht angehalten.“ Was sie nicht wissen: Eine Kurve weiter warten zwei Streifenwagen. „Die Fahrverbote gehen in die falsche Richtung“, beschwert sich einer aus der Gruppe. Es würde doch jeder was davon haben, könnten Motorradfahrer im Sommer legal auf der Landstraße fahren – die Gastronomen, die Motorradfahrer, die Tankstellen.
Da ist sie dann doch ein bisserl, die Aufregung. Die war 2013 um einiges größer. In jenem Jahr, als der damalige bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer erstmals von einer „Ausländer-Maut“ auf deutschen Autobahnen träumte. War es Zufall oder nicht, jedenfalls führten die Österreicher zum 1. Dezember 2013 auf der Inntalautobahn die Vignettenpflicht auch für den Abschnitt zwischen Kiefersfelden und Kufstein-Süd ein. Zuvor war darauf verzichtet worden, vor allem mit Blick auf die vielen bayerischen Wintersportler auf dem Weg in die Tiroler Skigebiete. Die Bürgermeister in den umliegenden Gemeinden tobten, sie befürchteten Massen an Ausweichlern in ihren Orten – was anfangs auch so war. An einem Sonntag blockierten etwa 1000 wütende Bürger sogar die Autobahn. Der „Pickerlstreit“ zwischen den Regierungen dauerte Monate – und versandete irgendwann im Alltag des Dauerverkehrs.
Es gab damals noch einen Verkehrskonflikt zwischen den Nachbarn. Im oberbayerischen Freilassing waren die Bürger sauer, weil die meisten Landungen am nahen Salzburger Flughafen über deutschen Luftraum gingen. Das Problem ist bis heute nicht behoben.
Wie Autofahrer und Urlauber mit der Situation auf den Straßen umgehen
Und auch der jetzige Streit um die Tiroler Ausweichrouten hat noch so etwas wie einen „kleinen Bruder“. Auch der wird in der Region Salzburg ausgetragen. Wegen der Grenzkontrollen Bayerns auf der A8 bei Bad Reichenhall herrscht nahezu Dauerstau auf österreichischer Seite. Nun droht die Salzburger Landesregierung, zur Entlastung der eigenen Kommunen den Fernverkehr über Landstraßen in Bayern umzuleiten, sprich über Orte wie Berchtesgaden oder Inzell – wo man natürlich entsprechend entsetzt ist.
Grund für die Drohung: Die Salzburger sind sauer, weil die deutsche Bundesregierung den Bau einer dritten Grenzkontrollspur an der A8 noch vor dem Sommer zugesagt hatte, um mehr Autos gleichzeitig abfertigen zu können. Der Bau verzögert sich nun aber.
Und in Tirol? Verläuft der bayerisch-österreichische Grenzkonflikt am ersten Wochenende mit Sperrungen in vergleichsweise ruhigen Bahnen. Die Pfingstferien sind vorbei, die Urlauber sehen zu, möglichst schnell via Autobahn nach Hause zu kommen. Sieht man von den üblichen Staus bei der Grenzkontrolle ab, gelingt dies über weite Strecken erstaunlich gut. Auf den Straßen und in den Dörfern rund um Innsbruck herrscht Frieden. Nur in der Politik, da ist es anders.
Die Diskussion ist geschlossen.
Tirol sperrt Landstraßen für alle Autofahrer, die nicht Anlieger sind bzw. nicht in Ortschaften wollen, die nur über diese Landstraßen erreichbar sind. Das nennen Sie Quell- und Zielverkehr. Die Überschrift ist falsch und irreführend.
>> Tirol sperrt Landstraßen für deutsche Urlauber - so eskalierte der Konflikt <<
Nicht nur für deutsche Urlauber; Holländer dürfen da genau so wenig fahren - ist das eine Schlagzeile für eine seriöse Zeitung?
Eine strecken- und aufwandsabhängige (zum Bau der Straße Brücke Tunnel) europaweite Maut für Autobahnen und Landstraßen soll, kann, muss geprüft werden.
Ja, dann kostet die Fahrt von Norddeutschland nach Italien Geld... Viel Geld!