
Nicolino di Camillo: Deutschlands erster Pizza-Bäcker ist tot


Bella Italia statt Bocksbeutel - und das in Würzburg: Nicolino di Camillo brachte in den 1950ern die Pizza nach Deutschland. Wie der Italiener die bayerische Küche revolutionierte.
Auf der ersten Speisekarte stand: Spaghetti mit Fleischklößchen. So zubereitet wie in den Abruzzen, der Heimat von Nicolino di Camillo. Preis: 3,33 Mark plus Bedienung und Mehrwertsteuer. Und Pizza natürlich, so zubereitet, wie die Amerikaner sie mochten. Mit dünnem Teig und viel Belag. Die US-Soldaten waren die ersten Gäste von Nicolino di Camillo in der Elefantengasse 1. Es war der 24. März 1952, und im Zentrum von Würzburg gab es plötzlich italienische Küche, in Deutschlands erster Pizzeria, dem „Sabbie di Capri“.
Der Mann, der nun im Alter von 93 Jahren gestorben ist, war das, was man einen bayerischen Italiener nennen darf. Oder einen italienischen Bayer, so genau wusste er das selbst nicht. Als unsere Zeitung ihn 2010 in „seinem“ Lokal besuchte, das heute „Capri Blaue Grotte“ heißt und von einer Deutschen geführt wird, sagte er: „Heimat ist da, wo ich mich gut fühle.“ Das war mal Würzburg, wo er die meiste Zeit mit seiner Frau lebte, mal der Gardasee, und natürlich die Abruzzen.
Nicolino di Camillo: Mister Pizza und Gastarbeiter
Nicolino di Camillo war Gastarbeiter und doch mehr als das. Nach dem Krieg heuerte er als Lkw-Fahrer bei der britischen Armee in Italien an. Als seine Einheit nach Deutschland verlegt wurde, blieb er in Nürnberg hängen, nun bei der US-Truppe. Dort arbeitete er als Küchengehilfe, dann wieder als Fahrer. Er traf viele Amerikaner, die aus Italien ausgewandert waren.
Aus Nicolino wurde Nick. Bis zuletzt nannten ihn viele so – was nicht wirklich passte zu einem, der auf so typisch italienische Art Deutsch sprach. Weil immer mehr Italiener kamen, gab es in den amerikanischen Klubs früh mediterrane Küche. In di Camillo reifte der Wunsch nach einem eigenen Restaurant.
Nicolino di Camillo: Seine Frau führte ihn nach Würzburg
Dann begegnete er Janine Schmitt. Ein 18-jähriges, bildhübsches Mädchen aus Würzburg, das in Nürnberg als Ballett-Tänzerin arbeitete. Es wurde die große Liebe. Die beiden zog es nach Würzburg, in Janines zerstörte Heimat, die zu einer Hochburg der US-Armee werden sollte. Unweit ihres Elternhauses entdeckte der Italiener 1952 eines der wenigen Gebäude in der Innenstadt, das den Bombenhagel 1945 überstanden hatte. Der Rest ist, in kulinarischer Hinsicht, ein Stück deutsche Geschichte.
Später hat er im Keller die „Blaue Grotte“ eingerichtet, ein wunderbar kitschiger Pappmaché-Nachbau der berühmten Sehenswürdigkeit von Capri. Dort und oben in der Pizzeria hat er über Jahrzehnte seine Gäste bewirtet. Prominente wie Bernhard Wicki und Rocco Granata. Oder einfache Angestellte aus den nahen Geschäften. Bleibt die Frage nach seiner Lieblingspizza. Das war die Carpentiere mit Salami, Champignons, Peperoni und Sardellen, benannt nach Dr. Zimmermann, einem der ersten Stammgäste. Sie stand vom ersten Tag an auf der Speisekarte. Und wie haben die Leute 1952 reagiert? Bei unserem Besuch hat Nicolino di Camillo geantwortet: „Da haben sie gestaunt.“
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