Ein Händchen für die Wiesn
Albert Strauß prägt als Schriftenzeichner seit Jahrzehnten das Bild des Oktoberfestes. Der 85-Jährige produziert mit Bleistift und Pinsel Reklameschilder für die Festwirte.
Die Haut ist von tiefen Falten durchzogen, Altersmale zeigen sich in unregelmäßigem Abstand auf der Hand. Doch trotz der zahlreichen Jahre gleitet sie seelenruhig über das Papier. Langsam fügen sich die gezeichneten Kreise und Linien zusammen, bis sie ein verschnörkeltes Schild ergeben. Die kleine Skizze stammt aus der Hand von Albert Strauß. Er ist 85 Jahre alt und fertigt Reklameschilder an – unter anderem für das Oktoberfest. Schriftenzeichner nennt sich sein Beruf. Heute würde man seinen Betrieb wohl Werbeagentur nennen.
Seit 25 Jahren auf dem Oktoberfest tätig
Seit fast 60 Jahren ist er in dem Job tätig, seit 25 Jahren stellt er Schriftzüge und Werbeschilder für die Wiesnwirte her. „Es können auch schon 27 sein, wer weiß das schon genau“, erzählt Strauß mit jugendlichem Spitzbubengrinsen.
Dass Albert Strauß mit den Händen arbeitet, verrät schon ein Rundgang über das Oktoberfestgelände einige Tage vor dem Start. Wild gestikuliert der Schriftenzeichner, zeigt auf ein Schild rechts von ihm, dann eine schnelle Drehung um die eigene Achse, den Finger in die Ferne gestreckt. „Und das da hinten, das am Schottenhammel oben drauf, das ist auch von mir.“
Wenn am Wochenende die Wiesn beginnt, werden wieder Millionen Menschen die Arbeit von Strauß betrachten, ohne es zu wissen. Schottenhamel, Hippodrom, Nymphenburg, Ochsenbraterei. Das halbe Fest ist mit den traditionsreichen Schildern und Schriftzügen aus seiner Reklamewerkstatt dekoriert.
Alle Schilder werden von Hand gefertigt
Strauß fertigt dabei alles von Hand an. Skizzen, Pläne, Entwürfe. Alles wird noch mit Bleistift auf Pauspapier gezeichnet, dann auf die Schilder übertragen und mit Pinsel und Farbe ausgemalt. Doch die Zeit der Handarbeit scheint sich dem Ende zuzuneigen. In der Branche ist die Technik nicht mehr wegzudenken, Strauß ist einer der letzten echten Zeichner. „Die Computertechnik hat vieles kaputtgemacht“, klagt er.
In Salzburg und Wien hat Strauß das grafische Zeichnen gelernt, Ende der 50er Jahre kam er in seine Heimat nach München zurück. Zusammen mit einem Freund machte er sich selbstständig, eröffnete seine Reklamewerkstatt in der Innenstadt. Damals waren gerade einmal 32 Werbefirmen in München. Heute seien es locker sieben- oder achthundert.
„Jeder kauft sich einen PC, setzt sich damit in seine Garage und hat eine Firma. Fachmänner sind die aber alle nicht. Früher war das noch eine echte künstlerische Arbeit, für die man Talent gebraucht hat“, erklärt Strauß. „Aber wissen Sie“, sagt er und grinst. „Viele schauen halt aufs Geld. Und das müssen Sie ja auch.“ Und so eine digitale Produktion sei nun mal günstiger.
Der Abschied in Sicht - für Nachfolgerin gesorgt
Der Abschied von der Wiesn und den Schildern sei inzwischen nicht mehr fern. „Na ja, in meinem jugendlichen Alter denkt man schon ans Aufhören“, sagt Strauß. Eine Nachfolgerin hat er bereits. Seit Jahren arbeitet er mit Barbara Dorbath zusammen, sie hat das alte Handwerk von der Pike auf gelernt. Eine würdige Nachfolgerin? „So is’ es“, antwortet Strauß und lacht laut auf. Und er wiederholt: „Genau, so is’ es.“
Doch vom Aufhören spricht er schon länger und trotzdem eilt er auch in diesem Jahr wieder quer über die Theresienwiese. Der Wind bläst seine weißen Haare durcheinander. Etwas chaotisch sieht er aus. Die Szenerie erinnert an das berühmte Bild von Albert Einstein – mit verzaustem Haar und herausgestreckter Zunge. Ein echter Schelm, genau wie Strauß. Die lausbübischen Sprüche des Schriftenzeichners untermalen dies.
„’Tschuldigung, aber es ist gerade eine hektische Zeit. Manchen Leuten fällt immer erst ein paar Tage vorher ein, dass es auch in diesem Jahr wieder eine Wiesn gibt“, bittet Strauß um Nachsicht und eilt bereits zum nächsten Festzelt. Denn gebraucht wird Albert Strauß noch immer auf dem Münchner Oktoberfest. AZ
Alle Infos rund um das Oktoberfest 2012 finden Sie in unserem Oktoberfest-Special.
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