Prozess: Wer schoss dem Gastwirt in den Kopf?
Ein Ingolstädter Gastwirt wird in einer Tiefgarage niedergeschossen. Zum Prozessauftakt gegen zwei Angeklagte sind noch viele Fragen offen.
Es ist ein Sonntag. Wie immer hat er sein Lokal gegen 21.30 Uhr zugesperrt und seine Mitarbeiterin abgesetzt. Dann fährt er nach Hause. Gegen 22 Uhr parkt er den Wagen in der Tiefgarage. Als er aussteigt, bemerkt er eine Person. Er fragt, wer da sei, sagt, er solle herauskommen. Das Garagentor ist defekt. Manchmal sind Jugendliche hier. Zum Rauchen oder Trinken. Dann, auf einmal, geht alles sehr schnell: Die Person stürzt auf ihn zu und schlägt ihn ins Gesicht. Und er hört, wie der zu einem anderen auf Russisch sagt: „Schieß auf ihn! Mach ihn fertig!“
Es sind zwei. Beide komplett schwarz gekleidet, die Gesichter hinter Sturmhauben versteckt. Der Gastwirt, ein 42-Jähriger aus Ingolstadt, beginnt, zum Tor der Tiefgarage zu rennen. Vier Projektile, mutmaßlich mit dem Kaliber acht Millimeter, treffen ihn. Eine Kugel am Hinterkopf. Er schafft es aus der Garage heraus, ruft seine Frau, die den Nachbarn und der die Polizei und den Notarzt. Das ist – verkürzt dargestellt – die eine Version des näheren Tatgeschehens, mit dem sich seit Freitag das Landgericht Ingolstadt befasst. So schildert der angeschossene Mann, was ihm am 18. März 2018 widerfuhr.
Zwei Würzburger auf der Anklagebank
Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat zwei Männer angeklagt, die diesen Angriff in der Tiefgarage ausgeübt haben sollen. Es sind Würzburger. Der eine ist 46, der andere 56 Jahre alt. Der Jüngere ist ein in Armenien geborener Deutscher. Der Ältere kommt aus Kasachstan. Sie müssen sich wegen gemeinschaftlich versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verantworten. Beide bestreiten die Vorwürfe und schweigen sich zunächst aus. So teilen es die Verteidiger der 1. Strafkammer übereinstimmend mit. Beide Angeklagte sitzen seit April 2018 in Untersuchungshaft.
Am Freitag befragt das Gericht ausgiebig den griechischen Gastwirt. Der hat den Angriff vergleichsweise gut überstanden. Er sei insgesamt sechs Wochen krankgeschrieben gewesen, erklärt er. Allerdings leide er nach wie vor unter Kopfschmerzen und spüre die Schusswunden, wenn das Wetter wechselt.
Landgerichtsvizepräsident Jochen Bösl macht sich in dem Indizienprozess vor allem auf die Suche nach einem aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft zunächst nicht erkennbaren Motiv. Der Gastwirt war sehr häufig von der Polizei vernommen worden. Nicht immer, so sagt er vor Gericht, sei ein Dolmetscher dabei gewesen. Er verstehe Deutsch einigermaßen, allerdings längst nicht alles. Russischkenntnisse habe er auch, weshalb er an jenem Abend auch diesen Satz „Schieß auf ihn! Mach ihn fertig!“ verstanden haben will. Das Gericht macht sich daran, die verschiedenen Aussagen des Mannes mit seinen jetzigen Erinnerungen abzugleichen. Der Gerichtsdolmetscher muss dabei Schwerstarbeit leisten.
Mehrere Theorien für das Motiv
Es gibt mehrere Theorien für ein Motiv. Eine davon dreht sich um eine Frau. Wie der verheiratete Familienvater aussagt, hatte er vor dem Angriff in der Tiefgarage eine mehrjährige Affäre gehabt, aus der auch ein Kind hervorging. Nach allem, was bisher bekannt ist, ist der Gastwirt der Vater. Die Affäre endete nicht gut, auch die Ehefrau des Mannes erfuhr davon. Inwiefern aber diese missglückte Beziehung die Männer auf der Anklagebank motiviert haben könnte, bleibt zum Prozessauftakt noch vage. Der Gastwirt kennt die beiden nicht. Geht es um das Kind und Unterhaltszahlungen? Um enttäuschte Liebe? Geht es um die Einnahmen aus dem Lokal? Die zwischenzeitliche Geliebte ist auch als Zeugin geladen und soll an einem der folgenden Prozesstage befragt werden.
Eine andere Theorie dreht sich um einen Ukrainer, den der Gastwirt einmal aus dem Lokal geschmissen hatte, weil er sich danebenbenommen haben soll. Der Lokalbetreiber hatte bei der Polizei zu Protokoll gegeben, diesen „tausend-prozentig sicher“ durch den Augenschlitz der Sturmmaske als den mutmaßlichen Schützen erkannt zu haben. Später kam jedoch heraus, dass der Mann als Täter wohl nicht infrage kam. Es gibt viele offene Fragen.
Im Laufe der stundenlangen Befragung widerspricht sich der Gastwirt mehrfach. Gegen Ende des extrem langen Prozesstages muss ihn sogar die Staatsanwaltschaft an seine Wahrheitspflicht erinnern. Dass er seine frühere Geliebte erst kürzlich nochmals wiedergesehen hatte, verschweigt er dem Gericht trotz mehrfacher Nachfrage zunächst. Und das, obwohl die Polizei – die Frau soll gestürzt sein und musste behandelt werden – davon längst erfahren hatte.
Das Ingolstädter Landgericht hat zwölf weitere, wohl langwierige, Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil könnte Anfang Juli fallen.
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