Zugunglück von Aichach wird Minute für Minute rekonstruiert
Zwei Monate nach dem Unfall in Aichach warten die Ermittler auf ein entscheidendes Gutachten. Die Bahn kündigt Konsequenzen an. Was ein Experte davon hält.
Die Sonne brennt hinunter auf den Aichacher Bahnhof. Die Bahn nach Augsburg steht schon auf Gleis eins und wartet brummend auf den Zug aus der anderen Richtung, der jeden Moment auf Gleis zwei einfahren sollte. Ein paar Reisende steigen ein, andere halten sich noch im Schatten auf. Busse fahren an und wieder ab. Die Blumenkränze am Bahnhofsvorplatz sind längst weggeräumt, von dem schweren Zugunglück, das hier vor zwei Monaten geschah und zwei Menschen das Leben kostete, ist nichts mehr zu sehen. Zumindest auf den ersten Blick.
Nach dem Zugunglück in Aichach: "Stimmung ist wieder ganz normal"
Ein 65-Jähriger aus dem Ortsteil Ecknach sitzt in der Bahnhofsbäckerei, trinkt seinen Kaffee. Das macht er regelmäßig und beobachtet dabei das Treiben um sich herum. Ob das Unglück, bei dem ein Regionalzug auf einen stehenden Güterzug prallte, noch immer spürbar ist? Der Rentner, der selbst nur selten Zug fährt, überlegt kurz: „Ich denke, die Stimmung ist jetzt wieder ganz normal“, sagt er dann. Am Anfang, in der ersten Zeit nach dem Zusammenstoß der beiden Züge, da sei die Aufregung natürlich groß gewesen. Da seien regelmäßig auch zusätzlich Bahnmitarbeiter in Warnwesten am Bahnhof gewesen. „Die habe ich jetzt aber schon länger nicht mehr gesehen“, sagt der 65-Jährige. Keine fünf Minuten später staunt er nicht schlecht: Noch bevor er seinen Kaffee ausgetrunken hat, tauchen doch wieder zwei Männer in gelben Warnwesten auf. „DB Sicherheit“ steht darauf geschrieben. Die Männer winken aber ab. Heute seien sie nur routinemäßig da, um nach dem Rechten zu sehen. Nach dem Unglück Anfang Mai seien sie noch vermehrt in Aichach gewesen, „um das Sicherheitsgefühl der Reisenden zu stärken“.
Mittlerweile ist das offenbar nicht mehr nötig – eine Modernisierung des Aichacher Bahnhofs aber sehr wohl, sagt der 65-jährige Rentner. Schließlich werden hier die Weichen immer noch so gestellt wie vor 100 Jahren: per Hand, ohne technische Warn- oder Sicherheitssysteme. Eine immense Verantwortung, die da auf den Fahrdienstleitern liegt – und der einer von ihnen am Abend des 7. Mai offenbar nicht gerecht wurde. Der 24-Jährige ließ einen Regionalzug in den Bahnhof fahren, obwohl dort auf demselben Gleis ein Güterzug stand. Es krachte, der 37 Jahre alte Lokführer der Regionalbahn und eine 73-jährige Passagierin starben, 14 weitere Menschen wurden verletzt.
Die Staatsanwaltschaft prüft derzeit die Umstände des Unfalls
Warum das Unglück passierte, ob der Fahrdienstleister, gegen den wegen fahrlässiger Tötung ermittelt wird, die volle Schuld trägt, er möglicherweise abgelenkt war – all das werde derzeit überprüft, erklärt Matthias Nickolai, Sprecher der Staatsanwaltschaft Augsburg: „Wir rekonstruieren das Unglück so minutiös wie irgendwie möglich, sind dabei aber auf das Gutachten eines Sachverständigen angewiesen.“ Bis das fertig sei, könne es noch einige Wochen dauern. Bezüglich etwaiger neuer Erkenntnisse hält sich Nickolai bedeckt.
Ebenso wie die Deutsche Bahn. Zwar bestätigte ein Unternehmenssprecher auf Nachfrage, dass in den kommenden fünf Jahren deutschlandweit rund 600 von 1178 alten Stellwerken mit elektronischen Warnanlagen ausgestattet werden, jedoch sei das „nicht unmittelbar eine Konsequenz des Unglücks in Aichach“, erklärt er. Gleichwohl dient die technische Neuerung genau dazu, Unfälle wie in Aichach künftig zu verhindern. So werden Sensoren an den Gleisen mit den Schalthebeln im Stellwerk verbunden und schlagen Alarm, wenn sich zwei Züge auf einem Gleis nähern.
Auch in Aichach könnten technische Nachrüstungen folgen
„Derartige Technik wird auch künftig keine hundertprozentige Sicherheit garantieren, aber sie verringert das Risiko für menschliches Fehlverhalten“, erklärt Winfried Karg, bayerischer Landesvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn. Sogenannte Achszähler – Sensoren, die registrieren, wie viele Achsen eines Zuges in einen Bahnhof ein- und ausfahren und daraufhin Gleise freigeben – seien bundesweit schon seit Jahrzehnten in Betrieb. Nicht aber in Aichach. Im Herbst will die Deutsche Bahn erklären, wann und welche Bahnhöfe mit welcher Technik nachgerüstet werden. Eingeplant sind Investitionen in Höhe von 90 Millionen Euro in den Jahren 2019 bis 2024.
Am Aichacher Bahnhof nimmt der 65-Jährige noch einen Schluck Kaffee. „Das Ganze muss technisch abgesichert werden“, sagt er. In der heutigen Zeit sei das dringend nötig.
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Die Diskussion ist geschlossen.
Inwieweit der Vertreter eines Fahrgastverbandes per se ein wie auch immer gearteter Experte für Leit- und Sicherungssysteme der Bahn sein soll, bleibt das Geheimnis des Artikel-Autors. Hinsichtlich der Nachrüstung eines den Bediener unterstützenden Systems für mechanische Stellwerke gelten zwei Grundannahmen der Risikoanalyse:
1) absolute Sicherheit oder Risikofreiheit kann nicht erreicht werden;
2) das Budget, das für Sicherheit zur Verfügung steht, ist beschränkt.
Hieraus gesehen ist die Nachrüstung in der skizzierten Form richtig und akzeptabel.
Wird die Ammerseestrecke auch nachgerüstet?
Vom Ergebnis einer Ursachenforschung wegen des Vorfalls in Utting war nichts zu vernehmen.