Renate Schmidt: "Frauen gehen zu oft Konflikten aus dem Weg"
Exklusiv SPD-Politikerin Renate Schmidt war 17, als sie ihr erstes Kind bekam und sich als Programmiererin behauptete. Das rät sie Frauen.
Frau Schmidt, Sie waren 17, als Sie Ihr erstes Kind bekommen haben, und haben sich als Programmiererin in einer Männerdomäne behauptet. Wie haben Sie das bloß geschafft?
Renate Schmidt: Weil ich musste! Mein Mann und ich mussten von etwas leben. Wir kamen beide nicht aus reichen Elternhäusern. Mein Mann wollte damals studieren und hatte sich für diesen Job als Programmierer nur beworben, weil er Frau und bald auch Kind hatte. Als er mir aber mit Grabesstimme von der Sache erzählte, habe ich mir gedacht: Ich war schon immer für Mathematik begabt, diese Aufgabe könnte mir gefallen und so habe ich mich im fünften Monat schwanger 1961 beim Versandhaus Quelle beworben.
Heute hätte eine schwangere Frau in so einer Branche sicher keine Chance mehr, oder?
Schmidt: Nein, das wäre für eine schwangere Frau heute deutlich schwieriger. Bedauerlicherweise. Damals suchten die Firmen natürlich auch händeringend Leute. Und ich habe gesagt: Ich komme gleich nach der Geburt wieder. Dann machte ich einen Test. Den habe ich bestanden. Und so arbeitete ich dort als jüngste und einzige Frau und war auch noch schwanger.
Und Sie starteten gleich nach dem Mutterschutz wieder durch?
Schmidt: Ja. Der Mutterschutz betrug acht Wochen, Elternzeit gab es nicht. Damals gab es zunächst noch die 48-Stunden-Woche, die dann Schritt für Schritt auf 42 Stunden gekürzt wurde. Weil ich so jung war, hatte ich gerade mal 14 Tage Jahresurlaub. Ich muss aber dazu sagen: Ich habe das damals nur geschafft, weil wir eine rüstige und junge Urgroßmutter hatten, bei der unser Kind gut versorgt war. Meine Mutter und meine Schwiegermutter waren beide erwerbstätig. Erleichtert wurde mir die Arbeit später, weil Quelle einen Betriebskindergarten aufgebaut hat – und zwar einen ganztägigen. Das waren alles Glücksumstände. Im Rückblick war auch wichtig, dass mein Mann und ich noch so jung waren, dass wir noch nicht so starr auf Rollen festgelegt waren. Und ich habe nach etlichen Krächen und Diskussionen doch durchgesetzt, dass sich mein Mann in einem nennenswerten Umfang an der Hausarbeit beteiligt. Das ist heute leider in den meisten Partnerschaften nicht der Fall.
In der Tat. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in einer Studie herausgefunden, dass Frauen noch immer wesentlich mehr Zeit mit Hausarbeit verbringen als Männer...
Schmidt: Dieses Problem müssen die Frauen aber bitteschön schon selbst lösen! Das kann ihnen kein Gesetzgeber abnehmen. Ich muss eben klar zu Hause sagen: Wir sind beide berufstätig. Wir wollen beide in unserem Beruf Erfolg haben, das erfordert Zeit. Also müssen wir uns die Hausarbeit aufteilen: Was machst du? Was mache ich? Es darf aber nicht darauf hinauslaufen, dass er nur den Müll rausbringt und sie die Böden schrubbt, das muss schon einigermaßen gleich verteilt sein. Man kann ja Vorlieben berücksichtigen. Ich habe zum Beispiel Bügeln schon immer gehasst, mein Mann aber konnte das ganz gut.
Also können sich Frauen schon privat oft zu wenig durchsetzen?
Schmidt: Frauen gehen zu oft Konflikten aus dem Weg. Dann gehen sie eben nur noch Teilzeit arbeiten. Denn da Frauen nun mal keine Übermenschen sind, kann ich nicht zu 100 Prozent Berufsfrau, zu 100 Prozent Mutter und Hausfrau und zu 100 Prozent Partnerin sein. Das ist nie und nimmer zu schaffen. Denn dann bin ich innerhalb kürzester Zeit ein 300-prozentiges Wrack. Also muss ich mich entscheiden: Was schränke ich ein? Bedauerlicherweise gehen dann Frauen oft den leichtesten Weg und reduzieren ihre Arbeitszeit. Dies bedeutet aber meist einen Abschied vom beruflichen Erfolg und einen Abschied von einer auskömmlichen Altersversorgung, und das finde ich, ist ganz allein unsere Entscheidung, unsere Zuständigkeit, die kein Gesetzgeber ändern kann.
Ist dieses Verhalten Erziehungssache?
Schmidt: Sicherlich auch. Was man zu Hause nicht erlebt hat, macht man meistens nicht. Ist die eigene Mutter höchstens Teilzeit arbeiten gegangen und der Vater in die Welt gezogen, ist das ein Familienbild, das prägt. Es ist aber auch eine Frage der Mentalität des Umfelds.
Was heißt das?
Schmidt: Bei uns in Deutschland war es viel zu lange verpönt, dass eine Frau mit noch kleineren Kindern erwerbstätig ist. Das hat sich erst in den letzten Jahren verbessert, aber auch noch nicht überall. Wenn Sie heute in ländlichen Gebieten als Mutter kleinerer Kinder erwerbstätig sind, ernten Sie zwar vielleicht keine lauten Kommentare mehr, aber immer noch sehr oft Naserümpfen.
Das heißt, Frauen müssen auch egoistischer sein und mutiger.
Schmidt: Egoistisch ist das meines Erachtens nicht. Heute lebt eine Frauengeneration, die von sich sagen kann, dass keine vor ihr besser ausgebildet war. Und es ist doch nicht egoistisch, wenn ich das, was ich gelernt habe und was nicht nur meine Eltern, sondern auch der Staat finanziert haben, in die Gesellschaft einbringe. Schlimmer ist es doch, wenn ich damit nichts oder zu wenig anfange. Mutiger allerdings müssen Frauen sein, da gebe ich Ihnen recht. Auch ist es anstrengender, sich ins Getümmel zu begeben. Viele scheuen diese Anstrengungen, sie wollen keine Karriere machen, weil es bequemer ist, Herrin im eigenen Heim zu sein. Doch ich bin überzeugt davon, dass nicht so viele Ehen geschieden werden, wenn mehr Frauen arbeiten würden. Denn man kann nicht jeden Tag nur von den geputzten Fenstern erzählen und von dem, was die Kinder heute gemacht haben – das ist auf Dauer zu wenig für eine gute Partnerschaft.
Und wer kümmert sich um die Kinder?
Schmidt: Beide sollten das tun und beide sollten abwechselnd beruflich kürzertreten, so lange es wirklich nötig ist, aber eben nicht immer nur die Frauen.
Frauen scheinen auch beim Geld Durchsetzungsprobleme zu haben. In München gibt es ein Seminar, in dem Studentinnen lernen, gut zu verhandeln, weil hoch qualifizierte Frauen immer noch weniger verdienen als Männer im gleichen Job.
Schmidt: Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommst du ohne sie – diesen schönen Spruch müssen Frauen endlich verinnerlichen. Viele haben in ihrem Beruf zu wenig Ahnung von ihrem Wert. Gleichwohl müsste auch der Gesetzgeber gegen die ungleiche Bezahlung mehr tun.
Was zum Beispiel?
Schmidt: Das Gesetz, das eine Einsicht in die Gehälter ermöglicht, wird von Frauen viel zu wenig genutzt. Daher finde ich, dass es eine verpflichtende Offenlegung geben muss - natürlich anonym. Das wäre ein erster wichtiger Schritt.
Probleme haben Frauen auch in der Politik: Der bayerische Landtag wird von Männern deutlich dominiert.
Schmidt: Dieses Ungleichgewicht kommt natürlich vor allem von Parteien, die beim Thema Gleichstellung nichts aufzuweisen haben. Die AfD zum Beispiel. Aber vor allem auch die CSU. Ich sehe daher mit Freude, dass sich die Frauen aller Fraktionen zusammen tun und diskutieren, was passieren muss. Ich denke, dass es ohne eine gesetzliche Regelung nicht gehen wird.
SPD und Grüne wollen eine Änderung des Wahlrechts. Wahlkreislisten sollen künftig paritätisch besetzt werden, Frauen und Männer würden sich also abwechseln auf der Liste.
Schmidt: Dieses Paritätsgesetz wäre wichtig. Und ich möchte einmal wissen, was daran verfassungswidrig sein soll? Es kann doch nicht sein, dass die Regionalquote wichtiger ist als die Geschlechterquote. Daher brauchen wir dieses Paritätsgesetz – im Übrigen nicht nur auf der bayerischen Landesebene, sondern auch auf Bundesebene.
Die Grünen gehen einen Schritt weiter: Sie wollen auch die Vergabe der Direktmandate ändern. Außerdem soll in der Verfassung eine feste Frauenquote von 50 Prozent für Landtag und Staatsregierung verankert werden.
Schmidt: Also ich wäre schon froh, wenn das Paritätsgesetz kommt, das die SPD vorgelegt hat. Wir sollten die Leute nicht überfordern.
Frauen wird auch immer wieder vorgeworfen, dass sie sich einfach zu wenig für politische Ämter interessieren.
Schmidt: Wenn es darum geht, ob jemand für den Stadtrat, den Land- oder Bundestag kandidieren soll, dann fragen Frauen meist: Kann ich das? Und Männer fragen: Was muss ich tun? Es ist aber auch die Art, in der Politik betrieben wird, die viele Frauen abstößt.
Müssen sich die Parteien ändern?
Schmidt: Ja, Parteien müssen frauenfreundlicher werden.
Und wie?
Schmidt: Das fängt schon bei der Terminwahl an: Frauen, die Kinder haben, tun sich schwer, am Abend noch auf Versammlungen zu gehen, die sich dazu häufig lange hinziehen. Diese Bieratmosphäre stört auch viele Frauen. Daher sollten Parteien ihre Versammlungen auch am Samstagnachmittag ansetzen und eine Kinderbetreuung organisieren. Und warum nicht mal Kaffee und Kuchen anbieten?
Am 8. März ist Weltfrauentag. Auf was können wir Frauen stolz sein?
Schmidt: Beispielsweise wird heuer 100 Jahre Frauenwahlrecht gefeiert. Und in diesen 100 Jahren hat sich doch wirklich viel Positives verändert - einmal abgesehen von dem schrecklichen Kapitel des Nationalsozialismus, das im Übrigen noch heute Mitschuld daran trägt, dass wir in Deutschland bei der Gleichberechtigung weiter zurück sind als andere Länder. Aber vergessen Sie nicht: Mein Mann hätte damals mein Arbeitsverhältnis noch ohne meine Zustimmung kündigen können. Wir Frauen sind heute juristisch gleichgestellt, dass wir es faktisch noch nicht sind, liegt auch an uns.
Zur Person: Renate Schmidt, 75, ist eine SPD-Politikerin, die schon etliche politische Ämter inne hatte - unter anderem war sie Bundesfamilienministerin. Die Fränkin ist mit dem Künstler Hasso von Henninges verheiratet und hat drei Kinder, fünf eigene und zwei angeheiratete Enkelkinder und einen Urenkel.
Lesen Sie auch: Weltfrauentag 2019: Wo der Internationale Frauentag gesetzlicher Feiertag ist
Die Diskussion ist geschlossen.