Schlaganfall mit 48: Schondorferin kämpft sich zurück ins Leben
Die Schondorferin Stefanie Will erlitt mit 48 Jahren einen Schlaganfall – und ist dankbar für ihr neues Leben. Die Geschichte einer starken Frau.
Ereignisse, die das ganze Leben umkrempeln, kommen oft auf leisen Sohlen – und tauchen völlig überraschend auf. Auch bei Stefanie Will ist das so gewesen, und wie andere Menschen in ähnlicher Lage hat sie die Tragweite der Situation nicht sofort erfasst. Sie wusste nur, dass etwas geschehen war, „was mein Leben bedroht“, erzählt die heute 51-Jährige. „Ich dachte, mein Leben sei zu Ende.“
Stefanie Will sieht blendend aus, während sie das sagt. Zarte Haut, rosige Wangen, schlanke Figur, strahlende Augen – sie wirkt wie das blühende Leben, obwohl sie doch Schlimmes hinter sich hat.
Will hatte an einem Januartag im Jahr 2013 einen brennenden Schmerz in Brust und Kopf verspürt, ehe sie bewusstlos wurde. Als sie wieder zu sich kam, hatte sie das Gefühl, auf einem Stück Fleisch zu liegen. Doch es war kein Stück Fleisch unter ihr – es war ihr eigener linker Arm, auf dem sie lag. Sie empfand ihn nicht mehr als zu ihrem Körper gehörig. Panik, sagt sie, habe sie dennoch nicht verspürt. „Ich hatte eine extreme Ruhe in mir“, erzählt sie. „Es war wie ein stiller Abschied mit dem Gedanken, nicht zu überleben.“
Freilich – diese Ruhe währte nicht ewig, es warteten andere Zeiten auf sie, nachdem sie realisiert hatte, was geschehen war: Sie hatte, nachdem sie wie jeden Tag frühmorgens aufgestanden war, einen Schlaganfall erlitten. Ganz ohne Vorzeichen. Will war gesund gewesen, sie hatte keine der typischen Risikofaktoren wie Übergewicht, Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen gehabt, war weder Diabetikerin noch Raucherin gewesen. Und vor allem: Sie war erst 48 Jahre alt und alleinerziehende Mutter einer 16-jährigenTochter.
Stefanie Will war halbseitig gelähmt
Die Prognosen in der Klinik waren nicht rosig: Stefanie Will war halbseitig gelähmt. Sie konnte sich im Bett nicht umdrehen, geschweige denn sitzen. Linker Arm und linkes Bein fielen immer wieder aus dem Bett und mussten vom Pflegepersonal zurückgelegt werden. Denn so sehr sie sich auch darauf konzentrierte – sie selbst schaffte es nicht, die beiden Gliedmaßen zu bewegen. Alleine frühstücken? Undenkbar. Zur Toilette gehen? Nicht möglich.
Stefanie Will hat ein anrührendes Buch über ihren Schlaganfall, die Wende in ihrem Leben, geschrieben: Alles auf Null und noch einmal von Vorne, lautet der Titel. Denn das Ereignis veränderte alles. Sie stand nicht nur, als sie aus Klinik und Reha zurückkehrte, ohne Einkommen und berufliche Perspektive da, auch ihr Partner, mit dem sie fünf Jahre zusammengewesen war, hatte sie ohne jede Erklärung oder Aussprache verlassen. Arbeit, Mann, Gesundheit – alles war weg, verloren.
Stefanie Will sagt über sich, sie sei zeitlebens eine selbstständige Frau gewesen, eine Frau, die sich zwar nicht immer auf andere habe verlassen können – aber stets zu hundert Prozent auf sich selbst. Nun war alles anders. Das, was bisher perfekt funktioniert hatte, ohne dass sie je darüber nachdenken musste – ihr Körper – verweigerte sich. Um ihn zu pflegen, musste sie die Hilfe anderer in Anspruch nehmen. Etwas, das sie phasenweise als entwürdigend empfand.
Nicht nur auf ihre Selbstständigkeit, auch auf ihre äußere Erscheinung hatte Stefanie Will immer viel Wert gelegt. Doch jetzt war sie nicht mehr in der Lage, sich selbst zu waschen, geschweige denn zu duschen. Der lieblosen Duschprozedur, die sie im Krankenhaus über sich ergehen lassen musste, hat sie ein ganzes Kapitel in ihrem Buch gewidmet. Es ist die Beschreibung von Empfindungen des Ausgeliefert- und des Alleinseins und von Mühen, die für Gesunde fast unvorstellbar sind – in einem körperlichen Zustand, der ihr vollkommen fremd war. Sie war behindert.
Dabei hatte Will immer geglaubt, perfekt sein zu müssen, sogar ein Buch mit dem Titel „Die perfekte Frau“ hat sie einmal geschrieben. Das ist ihr heute völlig unverständlich. Denn ihre Vorstellungen, was „perfekt“ bedeutet, haben sich komplett gewandelt. Heute empfindet sie es als traurig, wenn Frauen glauben, perfekt sein zu müssen. Sie ist dankbar dafür, verstanden zu haben, „dass es darum gar nicht geht“. Und sie empfindet Achtung für den menschlichen Körper, der, wenn er gesund ist, perfekt funktioniert und ein „Kunstwerk“ sei. Aber wer denkt schon darüber nach, solange der Körper seine Aufgaben klaglos verrichtet?
Auf eines hat sie während der langen Zeit der Genesung trotzdem felsenfest vertraut: Wenn der Körper früher einmal funktioniert hat, kann das auch wieder so werden. Das hat sie aufrechterhalten auch in der Zeit, als sie in der Rehaklinik als einzige jüngere Frau inmitten betagter Patienten saß und wie die anderen wieder lernen musste, Bauklötzchen aufeinanderzusetzen. So, als hätte man sie in die Zukunft und in ein anderes Lebensalter gebeamt.
Heutiges leben bezeichnet Stefanie Will als Geschenk
Doch es war nicht alles negativ, es gingen zugleich andere Veränderungen in ihr vor: Völlig unerwartet empfand sie eine geradezu überwältigende Liebe für ihren eigenen, so verletzlichen Körper. Etwas, was sie früher nur von anderen bekommen zu können glaubte, empfand sie plötzlich für sich selbst: eine tiefe und bedingungslose Liebe. „Mir wurde klar, dass ich nur über diese Form der Selbstfürsorge und Selbstannahme vollkommene Heilung erlangen konnte“, schreibt sie in ihrem Buch.
Das Schreiben über die Veränderungen wurde zur Therapie für sie. Damit, sagt sie, konnte sie alles verarbeiten und hinterfragen. Sie will einen Einblick geben in die Seele eines Menschen, der unerwartet aus der Bahn geworfen wurde. Es ist ein Appell, sich ein bisschen einzufühlen in andere, so wie auch sie selbst Verständnis hat für die Nöte des Pflegepersonals in den Kliniken, das unter hohem Druck steht. Dennoch hätte sie sich von den Pflegenden manchmal auch etwas mehr Verständnis für ihre eigene Würde, ihre eigenen Gefühle gewünscht.
Es ist noch etwas, das sie auf ihrem Weg zur Genesung immerzu begleitete: ein Nahtoderlebnis, das sie nach dem Schlaganfall im Krankenwagen auf dem Weg zur Klinik gehabt hatte. Ein Erlebnis voller Ruhe, Liebe und Licht, ein Erlebnis, das sie kaum in Worte fassen kann. Seitdem hat sie keine Angst mehr. Sie fühlt sich aufgehoben in diesem Leben und genießt es, einfach sie selbst sein zu dürfen. Oder auch: einfach noch da zu sein.
Trauert sie der Vergangenheit nach? Nein. Ihr heutiges Leben, sagt sie, sei ein Geschenk. Es ist eine neue Freiheit, ein neues Dasein, das ihr der Schlaganfall ermöglicht hat. Sie konzentriert sich nicht auf das, was nicht mehr geht, sondern auf das, was sie wieder kann. Nach ihrem langen Weg hin zur weitgehenden Genesung will sie eines an andere weitergeben: „Es ist wichtig, dass die Menschen an sich glauben, auch wenn die Prognosen schlecht sind“, sagt sie. Dann, ist sie überzeugt, könnten auch Wunder geschehen.
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