Soll in Kitas Mundart oder Hochdeutsch gesprochen werden?
Spreche bairisch, suche Kindergarten: Eine Mutter möchte, dass ihr Bub Dialekt spricht. Soll in der Kita Mundart oder Hochdeutsch gesprochen werden? Das wird zur Gretchenfrage.
Sein Wortschatz ist noch überschaubar: Mama und Papa. Ball heißt Dai und Vogel biep-biep. Anton ist gerade einmal eineinhalb Jahre alt und beginnt zu sprechen. Seine Mutter Eva-Maria Kraus denkt jedoch schon an morgen. Sie möchte rechtzeitig die Weichen stellen, dass ihr Bub einmal wie seine Eltern Dialekt sprechen wird.
Doch das sei nicht so einfach, erklärt die Wahl-Augsburgerin. In den meisten Kindergärten würde den Kleinen heutzutage noch immer die Mundart abtrainiert. Darum schickte Eva-Maria Kraus einen „Hilferuf“ an den Bund Bairische Sprache (BBS).
Eva-Maria Kraus sucht einen Kindergarten
Im Radio hatte die Richterin zufällig gehört, dass es in Ober- und Niederbayern Einrichtungen gibt, in denen Dialekt bewusst gefördert wird. Doch wie sieht das in Schwaben aus? Beim BBS konnte man ihr nicht weiterhelfen und verwies sie an unsere Zeitung.
Wir rufen nun Kindergärten, in denen Dialekt unterstützt wird, dazu auf, sich bei uns schriftlich zu melden (Augsburger Allgemeine, Bayernredaktion: Stichwort „Bairisch im Kindergarten“).
Hintergrund der Dialekt-Misere an Kindergärten ist eine längst veraltete Lehrmeinung. In der Pädagogik galt es in den 70er und 80er Jahren als erwiesen, dass Kinder, die Mundart sprechen, schlechte Noten schreiben.
Mehr Wert auf Mundart legen
Studien waren zu dem Schluss gekommen, dass sie mehr Fehler in der Rechtschreibung und der Grammatik machten und langsamer lasen. Die Krux dabei war, dass nur Kinder untersucht wurden, die ausschließlich mit Friesisch oder Bairisch aufgewachsen waren. Inzwischen weiß man, dass Dialekt im Zusammenspiel mit der Hochsprache die Sprachbegabung fördert.
Darum setzt sich auch Sepp Obermeier vom BBS dafür ein, dass gerade in Kindergärten wieder mehr Wert auf Mundart gelegt wird: „Im vorschulischen Bereich liegt der Schlüssel für die Weitergabe der Dialekte als Muttersprache, da nach dem zehnten Lebensjahr eine Sprache nicht mehr authentisch und akzentfrei erlernt werden kann“, argumentiert er.
Wenn nur einer Kindergartengeneration die Muttersprache vorenthalten werde, dann gehe ein tausend Jahre altes Kulturgut unwiederbringlich verloren.
Dialekt: Beste Grundlage für Mehrsprachigkeit
Seit 2006 gibt es für Bayerns Kindergärten einen Bildungs- und Erziehungsplan, BEP. Demnach müssen die Kindergärten ein sprachliches Konzept erstellen. Im Kindergarten St. Marienheim in Denkendorf (Landkreis Eichstätt) beispielsweise konnte der Bund Bairische Sprache in diesem Zusammenhang durch eine Vortragsveranstaltung sowohl die Eltern der einheimischen als auch der aus anderen Bundesländern zugezogenen Kinder vom Wert des Dialekts als beste Grundlage für die Mehrsprachigkeit überzeugen.
Bereits nach einem Jahr hätten die „Zuagroasdn“ von den Denkendorfer Kindern den Dialekt förmlich aufgesaugt und in Hauptrollen eines bairischen Singspiels glänzen können, berichtet Obermeier.
Nach fünf Jahren und mittlerweile einem Anteil von 50 Prozent Kindern aus anderen Ländern und Bundesländern bescheinigt auch die Leitung der Grundschule diesen „mittelbairisch-sozialisierten“ Kindern eine hervorragende standardsprachliche Entwicklung und Sozialkompetenz.
Auf so einen Kindergarten hofft auch Eva-Maria Kraus für ihren Anton. „Wenn der Bub ,Boi‘ sagt, sollen die Erzieherinnen ihn nicht korrigieren und sagen: ,Anton, das heißt Ball‘.“ Sie selbst habe trotz Dialekts im Gymnasium den Deutsch-Leistungskurs und ein Jura-Studium geschafft. Darum wundert sich die 31-Jährige, dass Dialektsprechern noch immer das Image der Hinterwäldler anhafte.
Doch Mundart liegt weltweit im Trend. Im Saarland wird im Unterricht Mundart gesprochen. In Südtirol, in der Schweiz und selbst in Shanghai gibt es ähnliche Projekte.
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