Wer ist in Bayern eigentlich arm?
Den Menschen im Freistaat geht es laut bayerischem Sozialbericht so gut wie nie. Gewerkschaft und Arbeiterwohlfahrt sagen: Die Statistik ist geschönt. Wer ist besonders gefährdet?
Den Bayern geht es gut. Glaubt man dem Sozialbericht, den Ministerin Emilia Müller im Mai vorgelegt hat, geht es den Menschen im Freistaat sogar so gut wie nie: Die Haushalte verfügen über die höchsten Netto-Durchschnittseinkommen, Jugendarbeitslosigkeit gibt es kaum mehr, und in vielen bayerischen Landkreisen herrscht Vollbeschäftigung. Grundsicherung beziehen hier nur 5,2 Prozent der Menschen, weniger als im Rest der Bundesrepublik. Laut Sozialbericht steht der Freistaat in vielen Bereichen also besser da als die anderen Bundesländer.
Was aber ist mit den Bayern, denen es nicht so gut geht? Und werden sie im Sozialbericht ausreichend berücksichtigt? Diese Fragen werfen der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Bayern nun auf. Gemeinsam haben sie den Sozialbericht genauer unter die Lupe genommen. AWO-Landesvorsitzender Thomas Beyer sagt: „Von Armut stand nichts in der Gliederung. Stattdessen war nur von niedrigen Einkommen die Rede. Ich habe das Gefühl, man will das Thema umschiffen.“
Berechnung von AWO und DGB: Jeder siebte Bayer ist armutsgefährdet
Als armutsgefährdet gelten Menschen, die 60 Prozent des Durchschnittseinkommens oder weniger zur Verfügung haben. Laut Sozialbericht waren das in Bayern 2015 noch elf Prozent, etwa jeder Neunte. Der AWO-Vorsitzende Beyer sagt: „Bei der Berechnung dieser Zahlen orientiert sich das Ministerium am mittleren Einkommen bundesweit.“ Weil die Einkommen in Bayern in der Tendenz höher sind, falle der Anteil armutsgefährdeter Menschen in der Bilanz niedriger aus. AWO und DGB berechnen die Armutsgefährdung anhand des höheren bayerischen Durchschnittseinkommens. Sie glauben, dass 15 Prozent von Armut gefährdet sind, also jeder siebte Bayer.
Von Armut und niedrigen Einkommen sind laut DGB vor allem Menschen im Alter von bis zu 34 Jahren und ab 65 Jahren betroffen. Der DGB-Landesvorsitzende Matthias Jena sagt: „Jeden Monat gibt es neue Erfolgsmeldungen der Arbeitsagentur, doch bei einigen Menschen kommt der Erfolg nicht an.“ Allzu oft würden sie nicht fest, sondern als geringfügig Beschäftigte, Leiharbeiter oder in Teilzeit angestellt. Gerade aufgrund dieser sogenannten atypischen Beschäftigung drohe vielen Arbeitnehmern mit geringen Einkommen die Altersarmut. Menschen mit Migrationshintergrund seien davon doppelt so häufig betroffen. Aber auch Arbeitnehmern, die wegen gesundheitlicher Probleme früher in Rente gehen, droht oft Armut.
Hohe Mieten tragen zur Armut bei
Alarmiert sind DGB und AWO auch von der fortschreitenden Wohnungsarmut in Bayern. Der Sozialbericht geht davon aus, dass allein 2012 und 2013 rund 57.000 Wohnungen zu wenig gebaut wurden. Die Beratungsfirma Empirica hat berechnet, dass der Neubaubedarf durch den Zuzug von Flüchtlingen pro Jahr um zusätzlich 11.625 Wohnungen steigt. AWO-Vorsitzender Beyer stellt fest: „Der freie Markt schafft Wohnungen, aber nicht für jeden. Wer wenig hat, muss anteilig viel mehr für seine Miete ausgeben. Das ist ungerecht. Deshalb fordern wir eine nationale Kraftanstrengung im Wohnbau.“
Zudem kritisiert Beyer, dass der Sozialbericht nicht erhebt, wie viele Menschen wohnungslos sind. Lediglich eine Befragung der Kommunen hat 2014 ergeben, dass 12.053 Menschen betroffen waren, und zwar besonders in Großstädten. In Schwaben haben 2014 demnach 980 und in Oberbayern 7179 Wohnungslose gelebt. Weil es keine neuen Daten gibt, stehen die Werte auch im aktuellen Sozialbericht. Laut AWO muss die Zahl allerdings deutlich gestiegen sein. Allein die Stadt München rechnet bis Jahresende mit über 9000 Wohnungslosen.
Sozialministerin Emilia Müller weist die Kritik von DGB und AWO zurück: „Es gibt auch in Bayern Menschen, denen es nicht so gut geht. Das haben wir nie verharmlost.“ Tatsächlich ist der Anteil der von Armut bedrohten Menschen in Bayern zuletzt gestiegen. 2010 waren es 10,8 Prozent, 2015 schon 11,6 Prozent. Dennoch rühmt sich Bayern damit, dass kein anderes Bundesland einen niedrigeren Wert vorweisen kann.
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