Spielsucht: Die Sache mit dem Glück
Bis zu 44.000 Menschen in Bayern gelten als glücksspielsüchtig. In Ingolstadt wird versucht, Angehörigen von Spielsüchtigen zu helfen.
Es ist ein lausig kalter Novemberabend draußen vor der Kneipentür. Und Evi P. (Name geändert) macht das, was sie sonst nie macht. Sie spioniert ihrem Mann hinterher. Sie hat keine Schwierigkeiten, ihn zu entdecken. Sein sauber abgestelltes Fahrrad verrät ihn.
Der Kreis der Stammkneipen ist überschaubar. Hinein will die Frau nicht in die "Spelunke ohne Niveau", wie sie sagt. Es reicht auch, von außen durch die großen Scheiben zu beobachten. Und was Evi dort sieht, erschrickt sie. Ihr Mann nippt häufig an einem Bierglas, ohne aus den Augen zu lassen, was sich vor ihm abspielt: Lichter blinken, bunte Gewinnsäulen steigen empor. Und wenn es gelingt, zur richtigen Zeit die Felder anzuhalten, dann ist ein persönliches Rendezvous mit dem Glück perfekt - dann, wenn der Geldspielautomat das ausspuckt, was er eigentlich behalten wollte. Der Mensch siegt in diesem einen Augenblick über die Maschine, denkt er zumindest - viel länger aber füttert er sie mit Münzen und Scheinen. "Mein Mann hat so glücklich ausgeschaut, wie ein kleines Kind, das auf das Christkind wartet", erinnert sich Evi P. an diesen Moment. Ein Augenblick vor knapp einem Jahr, der sie auch noch rückblickend frösteln lässt, obwohl sie jetzt in der warmen Stube der Caritas-Suchtberatungsstelle sitzt und über das Leben mit einem Glücksspielsüchtigen erzählt.
An jenem Novemberabend wollte sie noch einen letzten Strohhalm ergreifen. Mit dem Handy rief sie ihren wenige Meter entfernten Mann an und bestellte ihn nach draußen vor die Wirtschaft. Er versprach, gleich nach Hause zu kommen, ging wieder nach innen zu Bier und Automat. Evi gab schließlich auf und verschwand. Drei Stunden später war er immer noch nicht daheim.
Wie viele Angehörige ähnliche Geschichten kennen, vermag Daniel Matasic nicht zu sagen. Bis zu 44 000 Menschen in Bayern gelten als glücksspielsüchtig. "Und das ist eine sehr vorsichtige Schätzung. Die hohen Dunkelziffern sind da nicht eingerechnet", sagt der Sozialpädagoge, der in der Suchtambulanz der Caritas-Kreisstelle tätig ist. Er führt Einzel- und Gruppengespräche mit Menschen, die aus eigener Perspektive den Geldautomaten in der Wirtschaft oder der Spielhalle so nötig haben wie die Luft zum Atmen. Er vermittelt Therapieplätze. Und ab morgen wird es in Ingolstadt als eine von vier "Pilotstädten" im Freistaat auch einen Gesprächskreis für Angehörige geben. "Die wissen oft nicht ein und aus und auch nicht, an wen sie sich wenden können." Ein vergleichbares Angebot ist dem Suchtexperten nicht bekannt.
Evi P. wird nicht dabei sein. Denn sie hat sich - nach zahllosen durchzechten und durchspielten Nächten und Wochenenden ihres Mannes, nachdem er ihr jeden Tag eine andere Lügengeschichte aufgetischt hatte und nachdem er sich sogar am Geld des Arbeitgebers der Frau vergriffen hatte - getrennt. Einen Weg zurück gibt es für die 49-Jährige nicht mehr, obwohl der Mann die Ehe retten will und inzwischen stationär in Behandlung ist.
"Mir geht es jetzt richtig gut", sagt Evi. Doch die Kraft, einen solchen Weg zu gehen, haben die wenigsten Angehörigen. Sie lassen sich mitreißen in den Abwärtsstrudel, geplagt von Schuldgefühlen. Wie sich sich davor schützen können, will die an die Caritas Ingolstadt angedockte Fachstelle Glücksspielsucht morgen erstmals zeigen.
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