Von der Tierklinik zurück auf die Wiese
90 Storchenpaare brüteten in diesem Sommer in der Region. Eine gute Bilanz. Einem verletzten Vogel konnte geholfen werden. Und es gab auch kuriose Geschichten.
„Ein Jungstorch ist verletzt.“ Der Anruf kam aus Gessertshausen (Kreis Augsburg). Anton Burnhauser fuhr in die Tierklinik, wo der Vogel geröntgt worden war. Er hatte Prellungen. Vermutlich ist er gegen ein Auto gelaufen. Zwei Tage blieb er in der Klinik, dann holte ihn der Weißstorchexperte raus – nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Jungstorch in Freiheit leben kann. Er setzte ihn in Gessertshausen auf einer Wiese aus. Denn es ist wichtig, dass die Jungen schnell wieder in die Familie integriert werden, sagt Burnhauser.
Der Jungvogel war noch nicht in der Lage, auf den Horst der Eltern zu fliegen. Weil Störche aber nicht am Boden übernachten aus Furcht vor dem Fuchs oder anderen Feinden, suchte er sich ein niedriges Gebäude zum Schlafen – mit Blick auf das Nahrungsgebiet. Die Altstörche flogen in der Dämmerung vorbei, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung ist.
Die Geschichte dieser Storchen-Familie ist kurios. Im vergangenen Jahr bauten sie sich in Gessertshausen ein Nest auf einem Kran. Der Grundstücksbesitzer ließ ihn deshalb stehen. Anfang des Jahres, bevor die Störche kamen, wurde er abgebaut. Als Ersatz wurde auf der Kirche ein Nest angebracht. „Den Störchen hat es offensichtlich nicht gefallen“, sagt Burnhauser. Sie vermissten ihr vertrautes Zuhause und zogen ins nahe gelegene Diedorf um, wo schon ein anderes Paar auf der Kirche lebt.
90 Paare brüteten in Schwaben
Dort bezogen sie Quartier auf einem Strommast. Burnhauser befürchtete, dass es Ärger geben wird. Doch die Paare kamen sich nicht in die Quere. Die angestammten Störche flogen zur Futtersuche in die Schmutteraue, die Zuzügler aus alter Gewohnheit nach Gessertshausen. Sie kennen diesen Lebensraum.
Die Storchen-Bilanz 2015 ist laut Burnhauser gut. 90 Paare brüteten in diesem Jahr in Schwaben, 175 Junge flogen aus. Der Bruterfolg war sehr passabel. Erstaunlich viele hatten drei und vier Junge, aber häufig gab es auch nur ein oder zwei. Die Nahrungssituation war wegen der Trockenheit angespannt. „Zum Glück gab es viele Feldmäuse und Heuschrecken“, sagt Burnhauser. „Hätte die Trockenheit vier Wochen früher eingesetzt, wäre es für den Nachwuchs kritisch gewesen.“ Regenwürmer gibt es seit über fünf Wochen nicht mehr. Sie ziehen sich bei wenig Regen und Hitze bis eineinhalb Meter tief in den Boden zurück.
Nicht nur die Trockenheit, auch die extreme Hitze setzte den wärmeliebenden Störchen zu. Man sah sie jetzt mit geöffnetem Schnabel dastehen. Sie verschafften sich so Verdunstungskälte. Sie behalfen sich auch damit, dass sie die Beine voller Kot machten. Das Weiß schützt vor Überhitzung.
Seit vergangenem Jahr gibt es wieder ein Paar mitten in Memmingen, und zwar nach Jahrzehnten. Heuer brütete es sogar erfolgreich auf dem Haus „Zum Storchennest“. In Mindelheim haben zwei Paare Quartier bezogen. Burnhauser sieht die Ansiedlung in größeren Städten kritisch. Die Vögel müssen sehr weit über bebautes Gebiet ins Nahrungsgebiet fliegen. Außerdem ist es schwer für die Jungen, die Nahrungssuche zu erlernen. Sie machen ihre ersten Flüge in der direkten Umgebung des Horstes. „Und das ist in der Zivilisationslandschaft schwierig.“ Die Gefahr ist, dass sie auf Dächern abrutschen. Es ist auch enorm wichtig, dass sie mit den Alten unterwegs sind und sich an deren Verhalten orientieren. „Allein stehen die auf Dächern und Kaminen rum und lernen nichts“, so Burnhauser.
Drei Kleinkolonien in der Region
Die Störche von Wilmatshofen (Kreis Augsburg) sind wegen des schlechten Nahrungsangebots in Horstnähe über die nächste Ortschaft hinausgeflogen. Sie wussten, dass es dort Wiesengräben gibt mit Libellenlarven, Kaulquappen, Molchen, Kleinfische und Egeln. Die Vögel schreiten durchs Gewässer und finden Nahrung in Hülle und Fülle. Die Gablinger Tiere flogen über sieben Kilometer weit.
In der Region gibt es inzwischen drei Kleinkolonien, was bei uns ungewöhnlich ist. In Oettingen (Donau-Ries) brüteten heuer fünf Paare, auf dem Kran in Kirchheim (Unterallgäu) waren es acht. Ebenso in Raisting (Kreis Weilheim Schongau). Was er in Hollenbach (Kreis Neuburg-Schrobenhausen) sah, das konnte Burnhauser kaum glauben. Der Storch baute sich ein Nest ins Kreuz auf dem Kirchendach. Mit diesem Paar sind es im Neuburger Donaumoos jetzt sechs.
Der Weißstorchexperte kann heute beruhigt zusehen, wo sich Paare ansiedeln – auch wenn es ungünstige Standorte sind. Denn der Bestand in der Region hat sich auf einem sehr hohem Niveau eingependelt.
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