Sudetendeutscher Tag: Nur Vergangenheit - oder auch Zukunft?
Die Sudetendeutsche Landsmannschaft versammelt sich an Pfingsten in Augsburg zum 66. Bundestreffen. Doch hinter den Kulissen tobt ein Streit um die „Wiedergewinnung der Heimat“.
Bernd Posselt, geboren 1956 als Sohn sudetendeutsch-steirischer Eltern, ist Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft. In den 1970er Jahren arbeitete er als Zeitungsredakteur bei den „Badischen Neuesten Nachrichten“. Der CSU-Politiker war von 1994 bis 2004 Mitglied des Europäischen Parlaments. Posselt ist auch Präsident der Paneuropa-Union Deutschland.
In Augsburg findet ab heute das 66. Bundestreffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft statt. Glauben Sie, dass es diese Veranstaltung auch in 30 Jahren noch geben wird?
Bernd Posselt: Genau diese Frage ist mir vor 30 Jahren schon einmal gestellt worden. Natürlich wird auch 2045 ein Sudetendeutscher Tag stattfinden. Dann werde ich 90 Jahre sein und – wenn es geht – auch teilnehmen.
In dem viel beachteten Buch „Kalte Heimat“ hat der Historiker Andreas Kossert bestritten, dass die Integration der Vertriebenen nach 1945 eine reine Erfolgsgeschichte ist. Hat er recht?
Posselt: Das kommt auf die Phase der Geschichte an. Nach dem Krieg wurde den Vertriebenen großartige Hilfe geleistet. Es gab natürlich auch Ablehnung und Ausgrenzung, die selbst meine Generation noch zu spüren bekommen hat. Wenn man die Summe der letzten Jahrzehnte betrachtet, ist die Bilanz aber positiv – und zwar als Integration, nicht als Assimilation. Das bedeutet, die Kultur und Vielfalt der Landsmannschaften konnte bewahrt werden.
Das Thema Vertreibung wurde in den letzten Jahren weit mehr als zuvor öffentlich diskutiert. Es gab sehr erfolgreiche Bücher und Filme zu dem Thema. Eine späte Genugtuung für die Sudetendeutschen?
Posselt: Was heißt Genugtuung? Es ist eine Notwendigkeit, sich mit dem Thema zu befassen. Einmal für die Erlebnisgeneration, dann aber auch für die Nachgeborenen im Sinne von „Nie wieder Vertreibung“.
Was muss geschehen, um die Zukunft der Sudetendeutschen Landsmannschaft zu sichern?
Posselt: Wichtig ist, dass wir nicht nur die Vertreibung, sondern auch unsere rund 1000 Jahre lange Geschichte der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien im Blick haben. Diese Zeit war ja auch geprägt durch das schöpferische Zusammenleben mit dem tschechischen Volk. Da gab und gibt es viele Verknüpfungen, die sollte man auch heute noch pflegen. Das muss unser Ziel sein.
Wie wollen Sie den Nachwuchs für die Landsmannschaft begeistern?
Posselt: Gerade junge Leute spricht das Thema Spurensuche ganz stark an. Viele finden es – wie man heute sagt – „cool“, dass sie Wurzeln im Osten haben. Und sie finden es spannend, sich mit der Kultur der böhmischen Länder zu beschäftigen. So kommen sie zu uns. Ein weiterer Grund mitzumachen, ist der Kampf gegen den Nationalismus, der zu Krieg und Vertreibung geführt hat und auch heute noch führt. Wir wollen ein Europa aufbauen, in dem es keinen Nationalismus mehr gibt.
Sie haben für Ihren Vorstoß, das Ziel „Wiedergewinnung der Heimat“ aus der Satzung der Landsmannschaft zu streichen, zum Teil äußerst scharfe Kritik aus den eigenen Reihen bezogen. Haben Sie die Stimmung in der Landsmannschaft falsch eingeschätzt?
Posselt: Im Gegenteil, ich hätte nicht gedacht, dass es bei der Bundesversammlung der Landsmannschaft in München für die Satzungsänderung eine Mehrheit von 71,8 Prozent geben würde. Sogar 80 Prozent haben für eine Grundsatzerklärung votiert, in der die Ziele „Völkerverständigung“ und „Einsatz für Flüchtlinge und Vertriebene“ einen Schwerpunkt bilden.
Aber es gibt doch auch starken Widerstand gegen die Satzungsänderung.
Posselt: Mit ehrlichen Argumenten gegen einzelne Formulierungen in der Satzung habe ich absolut kein Problem. Ich habe auch tiefen Respekt davor, wenn ein Vertriebener aufgrund seines Alters und seines Schicksals diese Umformulierung nicht mittragen will oder kann. Sehr wohl ein Problem habe ich mit denen, die den Streit instrumentalisieren, um sich am äußersten rechten Rand zu profilieren. Diesen Leuten geht es gar nicht um die Sache.
Wie ist der Stand der juristischen Auseinandersetzung? Es gibt ja die Ansicht, dass zur Änderung der Satzung eine Dreiviertelmehrheit nötig gewesen wäre.
Posselt: Die eingehende juristische Prüfung durch den Präsidenten der Bundesversammlung der Landsmannschaft, Reinfried Vogler, hat ergeben, dass die Mehrheit für die Satzungsänderung ausreichend war.
Ist eine Versöhnung in der Landsmannschaft noch möglich? Oder droht gar eine Spaltung?
Posselt: Ich sehe noch nicht mal im Ansatz die Gefahr einer Spaltung. Die Sudetendeutschen haben sich schon immer durch Vielfalt in der Einheit ausgezeichnet.
Ist der Konflikt Thema in Augsburg?
Posselt: Natürlich wird die Debatte beim Sudetendeutschen Tag in Augsburg eine Rolle spielen. Ich hoffe auf leidenschaftliche Diskussionen. Wir werden die Heimatliebe und das individuelle Recht eines jeden Menschen auf Heimat nicht preisgeben. Das ist etwas anderes als das politisch längst unrealistische Ziel einer „Wiedergewinnung der Heimat“ und die Forderung nach „gleichwertiger Entschädigung“. Das 21. Jahrhundert ist eben etwas anderes als die 1950er Jahre. Wir müssen uns erneuern und verändern. Neben der Bewahrung unserer Identität geht es auch um Partnerschaft und gute nachbarschaftliche Beziehungen zur Tschechischen Republik.
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