Syrerin sollte trotz Krankheit abgeschoben werden
Eine Syrerin und ihr Sohn sollten trotz Krankheit ausgewiesen werden. Ein Urteil des EU-Gerichtshofes verbietet das. Doch der Memminger Fall ist nicht der einzige.
Flüchtlinge, die chronisch krank oder traumatisiert sind, dürfen nicht nach Italien zurückgeführt werden, ohne dass zuvor eine angemessene Unterbringung nachgewiesen ist. Das hat im November des vergangenen Jahres der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. Eine diabetes-kranke Frau aus Syrien und ihr Sohn, der nach den Erfahrungen im Bürgerkrieg auf der Flucht unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet, sollten aber trotzdem aus Memmingen abgeschoben werden. Dieser Fall hatte im April für Furore gesorgt. Schlussendlich war die Abschiebung dann aber ausgesetzt worden.
Mediziner Nowotny von der Bayerischen Ärzteinitiative für Flüchtlingsrechte kümmerte sich um den jungen syrischen Mann, als der sich nach einem Selbstmordversuch im Kirchenasyl in Rosenheim befand. Sowohl bei der 57-jährigen Syrerin als auch bei ihrem Sohn hätten Atteste die Krankheit nachgewiesen, sagt er.
Die Stadtverwaltung bestreitet, von der Erkrankung gewusst zu haben
In der Memminger Stadtverwaltung wird das bestritten. „Uns war von einem Attest oder einer Erkrankung nichts bekannt“, sagt Thomas Schuhmaier, der als Referatsleiter unter anderem für öffentliche Sicherheit und Ordnung zuständig ist.
Das Ausländeramt habe einen Abschiebebescheid bekommen, mit der Information, dass der Asylantrag der beiden Syrer abgelehnt worden sei. „Die Ausländerbehörden müssen diese Bescheide dann umsetzen“, sagt Schuhmaier.
Das Amt müsse dabei unter anderem feststellen, ob es Gründe gibt, die eine Abschiebung verhindern. „Wir hatten hier auch schon Leute, bei denen ein entsprechender Krankheitszustand bekannt war – und die dann nicht abgeschoben wurden“, versichert er. Im Fall der Syrerin und ihres Sohnes sei der Behörde schlicht und einfach nichts bekannt gewesen.
Es sei auch nicht die Aufgabe eines Arztes, Atteste an die Behörden weiterzuleiten, sagt zu dem Fall eine Sprecherin des bayerischen Sozialministeriums. Allein schon wegen der ärztlichen Schweigepflicht sei dies nicht ganz einfach. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge könne zu den Fällen der beiden Syrer keine Stellungnahme abgeben. „Aus Datenschutzgründen“, heißt es auf Nachfrage.
Der Krankheitszustand hätte bei den beiden Syrern aber auch ohne Attest erkannt werden können, ist Arzt Thomas Nowotny sich sicher. „Ich bin der Meinung, es gab genug Hinweise an die Ausländerbehörde, um von einer Erkrankung auszugehen. Außerdem gab es schon beim ersten Abschiebeversuch der Frau den ausdrücklichen Hinweis auf ihre Erkrankung.“
Auch habe sich der Sohn bereits kurz nach der Ankunft in Deutschland hilfesuchend an Mitarbeiter der Ausländerbehörde gewandt, weil es ihm nicht gelungen sei, einen Arzttermin für seine Mutter zu erhalten. Dabei habe sie dringend Medikamente gebraucht.
Zudem sei der Fall des Syrers und seiner Mutter nicht der einzige, in dem Asylbewerber ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit abgeschoben würden, sagt Nowotny.
Außerdem müssten Asylbewerber oft lange auf einen Arzttermin warten – gerade in Erstaufnahmeeinrichtungen. In Nürnberg wurde kürzlich ein Fall bekannt, bei dem die lebensgefährliche Erkrankung eines Kleinkindes längere Zeit unbeachtet blieb. Das Kind bekam erst Hilfe, nachdem sich die Familie zu Fuß zu einer Ärztin aufgemacht hatte.
Arzt legt Dienstaufsichtsbeschwerde ein
Nowotny fordert die Mitarbeiter von Behörden, Krankenhäusern und anderen Institutionen dazu auf, stets im Einklang mit den Menschenrechten zu handeln. Gegen den Leiter des Ausländeramtes Memmingen hat der Arzt mittlerweile Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt.
Was die Frau aus Syrien und ihren Sohn angeht, spricht der Arzt von einem Erfolg. „Beide können jetzt in Deutschland bleiben und bekommen hier ein Asylverfahren“, sagt der Arzt. Er hat eine klare Meinung: „Es war absolut unnötig, dass so viel Leid verursacht wurde.“
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