Attacke in Augsburg: Hat der Hass in sozialen Netzwerken zugenommen?
Elke Wagner, Professorin für Spezielle Soziologie an der Universität Würzburg, erklärt, warum soziale Netzwerke die Debatten im Internet emotionalisiert haben.
Frau Wagner, im Internet stößt man auf Ausdrücke wie "Scheißbullen“ oder „Dreckspresse“. In sozialen Netzwerken richten sich viele Hasskommentare gegen Polizisten, Experten und Journalisten. Warum ist das so?
Elke Wagner: Ich glaube nicht, dass sich der Hass nur unmittelbar gegen die Medien oder die Polizei richtet. Ich glaube, dass Missstände in der Gesellschaft und eine ökonomische Ungleichheit Frust bei vielen Menschen aufbaut. Das Internet und soziale Medien vermarkten eben diesen Frust und feuern ihn an.
Aber warum richtet sich dieser Frust gegen bestimmte Berufsgruppen?
Wagner: Diese Praxis – jeder kann und darf im Internet alles sagen – führt zu einer massiven Beschleunigung und Emotionalisierung im Netz. Das bedeutet, dass Meinungen immer stärker und schneller anfluten und wieder abebben. Diskussionen werden immer emotionaler und es bleibt keine Zeit, sich mit Sachargumenten in Diskurse einzuschalten. Es bildet sich eine Masse aus emotionsgeladenen, meinungsgetriebenen Positionen. Diese Masse trifft dann auf Experten, die neutral und sachlich argumentieren – und damit auf einmal in die Defensive geraten. Deshalb werden zum Beispiel Polizisten angefeindet. Sie geben aus ermittlungstaktischen Gründen manche Informationen nicht preis. Aber die Öffentlichkeit verlangt diese Informationen, um zu jeder Zeit mitreden zu können. Sie präsentiert sich selbst als Verfechter der Gerechtigkeit.
Ist das eine Besonderheit der sozialen Netzwerke?
Wagner: Bevor es das Internet gab, konnten eher nur solche Menschen an Diskussionen in der Öffentlichkeit teilhaben, die ein besseres Argument zur Verfügung hatten. Politiker, Experten, Intellektuelle oder etwa Journalisten traten auf, die Wissen, Erfahrungen und sachliche Argumente hatten. Heute ist das anders. Experten werden für einen öffentlichen Diskurs nicht mehr unbedingt gebraucht. Seit es die sozialen Medien gibt, kann jeder mitreden. Aber: Man argumentiert nicht mehr mit Fakten, sondern mit Meinungen und Empfindungen.
Und deshalb oft auch die scharfen Worte?
Wagner: Einerseits bestärken sich die Menschen untereinander. Andererseits macht man sich mit dieser stark emotionalisierten Rede natürlich auch unangreifbar. Was soll man schon auf „Scheißbullen“ oder auf „Dreckspresse“ antworten? Auf solche Ausdrücke kann man nicht vernünftig reagieren.
Was hat das für Konsequenzen für die Polizei und die Medien?
Wagner: In dieser Umgebung wird es viel schwieriger, mit sachlichen Argumenten gegen diese Sprache und Meinungen anzukommen und solche Stimmungen wieder abzukühlen. Denn viele Menschen sind auf sozialen Medien gar nicht mehr zugänglich für eine sachliche Debatte.
Fördern soziale Netzwerke also auch den Hass im Netz?
Wagner: Hass und Stammtischparolen hat es schon immer und überall gegeben. Relativ neu ist jetzt, dass in der Kommunikation soziale Medien dazwischen geschaltet sind. Auf diesen Plattformen werden die Meinungen, die vorher nur im Kleinen existierten, viel sichtbarer für viel mehr Menschen, und auf Dauer gestellt, also speicherbar. Ob der Hass tatsächlich zugenommen hat, ist schwer zu sagen. Denn den Hass und die Menschen dahinter zu erforschen, ist schwierig. Sie wollen sich schließlich eher nicht interviewen lassen.
Welche Konsequenzen muss man daraus nun ziehen?
Wagner: Es muss uns klar sein, dass wir das Publikum im Netz nicht einfach abschalten können. Diese Arten zu reagieren, diese Sprache und diese Meinungen haben sich etabliert. Wir müssen jetzt lernen, damit umzugehen.
Zur Person: Elke Wagner ist Professorin für Spezielle Soziologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Sie erforscht, ob das Internet zu einer Plattform für Wut und Angst geworden ist und wie es zur Hasskommunikation kommt.
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